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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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verboten, zu verraten, daß ich nicht im Bett liege und schlafe. Ich will nicht, daß er sich mit Drachen herumschlägt. Meg, was ist geschehen? Du mußt es mir sagen.«
    Sie nickte ergeben. »Also gut, Charles. Ich zweifle nicht mehr daran, daß es deine Drachen gibt. Lieber glaube ich an sie als an einen Herrn Jenkins, der mir in den Garten nachläuft und sich dann in – in ein flatterndes, heulendes Nichts auflöst.« Sie sprach hastig, denn ihr war klar, daß das alles absurd klang.
    Charles Wallace lachte sie aber nicht aus. Er setzte vielmehr zu einer ernsthaften Antwort an; da riß es ihn plötzlich herum. »Wer ist da?«
    »Niemand«, sagte Calvin. »Nur Meg und ich. Und du.« Trotzdem glitt er sicherheitshalber vom Felsen.
    »Doch, da ist jemand. Ganz in der Nähe.«
    Meg drückte sich enger an Calvin. Ihr Herzschlag stockte.
    »Psst!« mahnte Charles Wallace, obwohl sie ohnedies ganz still waren. Er lauschte mit erhobenem Kopf; so nahm Fortinbras eine Witterung auf.
    Zur Rechten grenzte die Wiese an ein Wäldchen. Dort standen Eichen, Ahorn, Birken, schon beinahe kahl; die Föhren und Fichten weiter hinten sorgten jedoch auch im Winter für immergrüne Fülle. Der Waldboden lag im Schatten und war mit einem Teppich aus Laub und Nadeln bedeckt, der jeden Schritt dämpfte. Aber die Kinder hörten das scharfe Geräusch knickender Zweige.
    Meg und Calvin starrten angestrengt zu den Bäumen hinüber, konnten aber nichts erkennen.
    Dann rief Charles Wallace: »Meine Drachen!«
    Sie wandten sich um und sahen sie:
    Unter dem Felsen. Flügel, Hunderte Flügel, die sich in Wellen entfalteten und wieder schlössen.
    Und Augen.
    Wie viele Augen hat ein Drachenrudel?
    Und kleine, züngelnde Flammen.
    Plötzlich rief ihnen aus dem Wald eine Stimme zu: »Habt keine Angst!«

Ein nächtlicher Besucher
    E ine große, dunkle Gestalt kam aus dem Wald und trat auf die Wiese. Wenige Schritte genügten, und er stand vor ihnen, stand jetzt ganz still, so daß die Falten seines langen Gewandes aus Stein gemeißelt schienen.
    »Habt keine Angst«, wiederholte er. »Er tut euch nichts.«
    »Er?«
    Tatsächlich! Was Charles Wallace für ein ganzes Rudel gehalten hatte, war ein einziger Drachen. Meg fand die Verwechslung aber durchaus begreiflich. Auch ihr gelang es nicht, dieses wilde Durcheinander als geschlossene Form zu erfassen. So viele Augen, so viele Blicke – welchen sollte sie erwidern? —, fröhliche, kluge, drohende Blicke; Katzenaugen, Drachenaugen; sie öffneten und schlössen sich, blinzelten ihr zu, betrachteten aber auch zugleich Charles Wallace, Calvin und den hageren, geheimnisvollen Fremden. Und Flügel! Zahllose Flügel in ständiger Bewegung; sie schoben sich vor die Augen, gaben sie wieder frei. Wenn das seltsame Geschöpf die Schwingen streckte, waren sie gut drei Meter lang; wenn es sie alle an den Körper preßte, glich es einer zuckenden Federkugel. Und zwischen den Flügeln schossen hin und wieder kleine Flammenzungen oder Rauchwölkchen hervor. Das Tier mußte wirklich auf der Hut sein, um nicht das Gras in Brand zu setzen. Kein Wunder, daß sich Charles bei der ersten Begegnung in sicherer Entfernung gehalten hatte.
    Wieder bekräftigte der hagere Fremde: »Er tut euch nichts.« Der Mann war – dunkel, dunkel wie die Nacht, groß wie ein Baum; und seine ganze Haltung, der feste, ruhige Klang seiner Stimme ließ Angst gar nicht erst aufkommen.
    Charles Wallace trat auf ihn zu. »Wer sind Sie?«
    »Ein Lehrmeister.«
    Charles Wallace seufzte sehnsüchtig. »Ich wollte, Sie wären meiner.«
    »Aber das bin ich ja.« Die Stimme klang wie ein Cello, wenn auch leicht amüsiert.
    Charles Wallace wagte sich einen Schritt näher. »Und diese Drachen … ?«
    Der Hagere – der Lehrmeister – wies mit der Hand auf das unheimliche Geschöpf, das sich folgsam irgendwie zusammenraffte, aufrichtete und alle mit einer tiefen, höflichen Verbeugung begrüßte.
    Der Lehrmeister sagte: »Er heißt Proginoskes.«
    » Er ?« Charles Wallace staunte.
    »Ja.«
    »Er ist nicht – mehrere Drachen?«
    »Er ist ein Cherubim.«
    »Ein – was!?«
    »Ein Cherubim.«
    Eine beleidigte Stichflamme zuckte auf: Wer an mir zweifelt, kränkt mich. Die Flügel entfalteten sich zu voller Größe und gaben alle Augen auf einmal frei. Als das Geschöpf zu sprechen begann, brauchte es dazu keine Worte; es wandte sich direkt an ihr Inneres; es sprach in ihnen:
    »Ihr glaubt wohl, als Engel sollte ich ein körperloses Wesen mit blonden

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