Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
Vom Netzwerk:
widmen. Was sie dabei entdeckt hatten – vieles in diesem einfachen, geradezu primitiven Labor —, machte die Murrys immer empfänglicher für das Seltsame, das Geheimnisvolle, das Unerklärbare. Hingegen war Dr. Colubras Wirken von Natur aus handfester, realistischer – und Meg hatte demnach allen Grund zur Zurückhaltung. Wie mußte Dr. Louise denn reagieren, wenn man ihr von einem dunklen, baumlangen Lehrmeister erzählte; oder gar, wenn man ihr beschrieb, wie ein Cherubim aussieht? Wahrscheinlich würde sie sagen: »Ihr leidet unter kollektiven Wahnvorstellungen und solltet zum Psychiater gehen.« – Oder war das nur eine bequeme Ausrede, weil Meg sogar Angst vor einer Aussprache mit ihrer Mutter hatte?
    Als sie mit dem Topf, der Zuckerkanne, der Milch, dem Kakao und den Löffeln ins Labor zurückkam, sagte Dr. Colubra eben: »Kosmische Aufschreie! Ein Riß in fremden Galaxien! Jede Faser meines gesunden Menschenverstandes sträubt sich gegen solche Behauptungen.«
    Frau Murry stützte sich auf den Arbeitstisch. »Du hast auch an die Farandolae erst geglaubt, als ich dir ihre Existenz beweisen konnte.«
    »Du hast sie nicht bewiesen«, erwiderte Dr. Louise. »Noch nicht.« Sie glich manchmal wirklich einem kleinen, grauen, zerzausten Vogel: Ihr kurzgeschnittenes Haar lag in grauen Löckchen; ihre Augen waren grau; ihre Nase sah aus wie der Schnabel eines Vogels; sie trug ein graues Flanellkleid …
    »Der einzige Grund, dir zu glauben, ist, daß du an diesen idiotischen Blechkasten« – sie wies auf das Elektronenmikroskop – »jedesmal so herangehst, wie mein ehemaliger Mann an seine Violine: wie zu einem Stelldichein mit einer heimlichen Liebe.«
    Frau Murry blickte von ihrem »idiotischen Blechkasten‹ auf. »Meinst du nicht, mir wäre lieber, ich hätte nie etwas von Farandolae gehört, geschweige denn, daraus Schlußfolgerungen ziehen zu müssen, die —?« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern wechselte abrupt das Thema: »Übrigens, Kinder, was sagt ihr dazu? Eben hat Herr Jenkins angerufen und allen Ernstes vorgeschlagen, Charles Wallace solle Unterricht in Selbstverteidigung nehmen.«
    Der wirkliche Herr Jenkins? fragte sich Meg, sagte aber bloß: »Jenkins ruft nie Eltern an. Er erwartet, daß sie zu ihm ins Büro kommen.« Beinahe hätte sie hinzugefügt: »Bist du sicher, daß es tatsächlich Herr Jenkins war?« Aber da fiel ihr ein, daß sie versäumt hatte, Blajeny von diesem furchterregenden Jenkins-Nicht-Jenkins zu berichten, der als Vogel im Nichts verschwunden war und den Louise so heftig attackiert hatte. Wie konnte sie das nur vergessen haben!? Gleich morgen würde sie Blajeny fragen, was er von der Sache hielt.
    Charles Wallace kletterte auf einen Laborhocker und nahm neben seiner Mutter Platz. »Ich brauche eher Unterricht in Anpassung«, sagte er. »Ich habe zwar Darwin gelesen, aber das bringt mich nicht weiter.«
    »Da haben Sie es!« wandte sich Calvin an Dr. Louise. »Wer würde so etwas von einem Sechsjährigen erwarten?«
    »Er liest wirklich Darwin!« bestätigte Meg.
    »Aber dafür weiß ich noch immer nicht, wie man sich anpaßt und eingliedert.«
    Dr. Louise hatte den Kakao und den Zucker verteilt; jetzt goß sie heißes Wasser aus einer der Retorten, die auf dem Tisch standen. »Das ist doch Wasser?« fragte sie zur Sicherheit.
    »Reines, klares Wasser vom Brunnen«, sagte Frau Murry. »Das beste weit und breit.«
    Dr. Louise füllte vorsichtig Milch nach. »Ihr Kinder seid zu jung, und selbst eure Mutter wird sich kaum noch erinnern können – immerhin bin ich um gute zehn Jahre älter als sie —, aber ich werde nie vergessen, wie ich vor vielen, vielen Jahren vor dem Fernsehapparat saß und eine ganze Nacht lang die Landung der ersten Astronauten auf dem Mond verfolgte.«
    »Ich erinnere mich noch gut«, sagte Frau Murry. »So jung, wie du tust, war ich damals auch nicht mehr.«
    Dr. Louise rührte den Kakao um, der über dem Bunsenbrenner brodelte. »Weißt du noch, wie vorsichtig, wie zaghaft sie die ersten Schritte setzten auf diesen fremden, unwirtlichen Boden? Aber nur wenig später spazierten Armstrong und Aldrin so zuversichtlich auf dem Mond herum, als fühlten sie sich bereits zu Hause. Der Fernsehkommentator hob das als ein außerordentliches Beispiel menschlicher Anpassungsfähigkeit hervor.«
    »Sie mußten doch nur herausfinden, ob der Boden tragfähig war«, wandte Meg ein. »Der Mond ist nicht bewohnt. Ich bin sicher, daß es nicht mehr so einfach

Weitere Kostenlose Bücher