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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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als ich allein im Garten war … «
    »Was ist vorgefallen, Erdenkind? Sag es mir. Ich habe das Gefühl, es könnte von Bedeutung sein.«
    Warum sollte sie es ihm nicht verraten? Der Cherubim selbst war nicht weniger unglaublich – aber Proginoskes war wirklich Proginoskes, während Herr Jenkins nicht wirklich Herr Jenkins gewesen war.
    Als sie versuchte, ihm ihr Erlebnis zu schildern, fühlte sie, wie Proginoskes sich von ihr zurückzog und plötzlich wie zur Selbstverteidigung alle Flügel an den Leib preßte. Dann blinzelte er ihr mit zwei Augen vorsichtig zu und hauchte: » Echthroi «. Ein häßliches Wort, und als Proginoskes es aussprach, wurde der Morgen noch kälter.
    »Was sagst du da?« fragte Meg.
    »Dein Herr Jenkins – der wirkliche Jenkins —, würde der so handeln wie der andere, der, von dem du mir soeben erzählt hast? Könnte er in die Luft aufsteigen und sich in Nichts auflösen? Ist das euch Erdenwesen menschenmöglich?«
    »Nein.«
    »Du hast ihn mit einem schwarzen Vogel verglichen, mit einem Vogel aus Nichts; und du sagst, er hätte einen Riß im Himmel hinterlassen?«
    »Ja, den Eindruck hatte ich. Aber alles geschah so rasch und unerwartet; ich war starr vor Angst und konnte kaum glauben, was ich sah … «
    »Klingt ganz nach Echthroi.« Erneut bedeckte er seine Augen.
    »Was ist das?«
    Langsam, als koste es ihn Überwindung, wandte er sich wieder ihr zu. »Was Echthroi sind? Ach, Erdenkind, wenn du Echthroi nicht kennst … «
    »Will ich auch gar nicht. Jedenfalls nicht, wenn sie dem gleichen, was ich gestern gesehen habe.«
    Proginoskes fächelte mit den Flügeln. »Ich glaube, wir sollten deinen Herrn Jenkins in Augenschein nehmen – natürlich den, bei dem dein kleiner Bruder in die Schule geht.«
    »Aber warum?«
    Proginoskes zog sich völlig zurück. Meg meinte, undeutlich seine Gedanken zu spüren: »Man hat mich ja gewarnt … es würde sehr schwer sein … Warum schickt man mich nicht an ein ruhiges Plätzchen, wo ich ungestört die Namen der Sterne rezitieren kann? … Wer sagt denn, daß ich überhaupt Lust habe, mich mit Farandolae … ? Hier war ich noch nie. Ich bin einfach zu jung dafür. Die dunklen Planeten machen mir Angst … Welchen Schutzstern hat eigentlich die Erde … ?«
    Dann wandte er sich wieder ihr zu und öffnete paarweise die Augen. »Megling, ich glaube, du hast einen Echthros gesehen. Wenn wir es aber mit Echthroi zu tun haben, dann sagt mir jede einzelne Feder meiner Flügel – und wenn du Lust hast, kannst du ja einmal alle zählen —, daß wir diesen Herrn Jenkins aus der Nähe betrachten sollten. Er gehört bestimmt zu unserer Prüfung.«
    »Herr Jenkins? Das verstehe ich nicht.«
    »Ich schon.«
    »Progo, das ist unmöglich«, gab sie zu bedenken. »Ich müßte wieder vorzeitig aus dem Bus steigen und zu Fuß zur Dorfschule laufen; wie neulich, als ich bei Herrn Jenkins wegen Charles Wallace vorsprach – ohne daß viel dabei herausgekommen wäre … «
    »Falls du wirklich einen Echthros gesehen hast, liegen die Dinge diesmal ganz anders«, sagte Proginoskes.
    »Also gut, ich kann zwar noch einmal in die Dorfschule gehen, aber ich kann dich unmöglich mitnehmen. Du bist zu groß, du würdest kaum in den Bus passen. Und willst du denn alle in Angst und Schrecken versetzen?« Sie mußte lachen, wenn sie bloß daran dachte, aber Proginoskes fand das keineswegs lustig.
    »Nicht jeder kann mich sehen«, sagte er. »Meine Existenz ist nämlich eine Tatsache, und die wenigsten Erdenbürger verstehen es, Tatsachen zu erkennen. Doch wenn es dich beruhigt, kann ich mich auch dematerialisieren.« Er wedelte graziös mit vereinzelten Flügeln. »Ehrlich gesagt finde ich es ohnedies bequemer, nicht ständig mit Materie belastet zu sein; ich dachte nur, daß du dich lieber mit jemandem unterhältst, den du nebenbei auch sehen kannst.«
    Noch saß ihr der Cherubim in voller Größe auf der Steinplatte gegenüber, doch schon im nächsten Augenblick war er verschwunden. Nur ein fahler Schimmer blieb zurück – oder war das schon die Dämmerung? Meg fühlte allerdings unverändert die Anwesenheit, das Vorhandensein des Cherubim: Er war in ihren Gedanken. »Bist du eigentlich tapfer, Megling?« wollte er wissen.
    »Nein.« Im Osten wurde der Horizont allmählich hell. Die Sterne verblaßten und waren kaum noch wahrzunehmen.
    »Ich fürchte, wir werden sehr tapfer sein müssen, Erdenkind. Nun, gemeinsam schaffen wir das schon. – Ob es dem Lehrmeister wohl

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