Der Riss im Raum
unserer Prüfung – und dem dreifachen Herrn Jenkins! Das ist doch krankhaft! Das ist Wahnsinn!«
»Krankhafter Wahn«, bekräftigte Proginoskes leise und mit schneidender Schärfe. »Ja, genau das ist es.«
Die Stille wurde gestört. Die Busse kamen. Kinder stiegen aus, balgten sich, rannten über den Hof und in die Schule.
Einer von ihnen war Charles Wallace.
In all dem Lärm blieb Proginoskes ruhig und unverwandt in ihren Gedanken. »Verstehe mich nicht falsch, Meg. Nur die Wege der Echthroi werden von krankhaftem Wahn bestimmt. Die Wege der Lehrmeister hingegen sind zuzeiten verwirrend, aber nie verwirrt. Das gibt mir die Gewißheit, daß Herr Jenkins für unseren Auftrag von großer Bedeutung ist. Sonst wären wir nicht hier.«
»Mein Haß auf Herrn Jenkins … « begann Meg bedrückt. »Daß ich ihn hasse, sooft ich ihm begegne – bedeutet das, daß ich ihn – benenne?«
Proginoskes hob seine Flügel. »Im Gegenteil. Es bedeutet, daß er von dir geext wird. Du besorgst das Werk der Echthroi.«
»Progo!«
»Meg, für den, der sich selbst nicht kennt, gibt es nur zwei Möglichkeiten: benannt oder geext zu werden.«
»Und du glaubst, mein Auftrag besteht darin, Herrn Jenkins zu benennen?« Der Gedanke war absurd, geradezu lächerlich. Selbst wenn Jenkins in noch so zahlreicher Gestalt auftrat, war und blieb er doch ein und derselbe.
Aber Proginoskes war seiner Sache ganz sicher. »Ja, Meg, das ist dein Auftrag.«
»Der dümmste, den man sich denken kann!« rief sie erbost.
»Was du denkst, tut nichts zur Sache. Nur dein Handeln entscheidet.«
»Wie sollte ich dann Charles Wallace helfen können?«
»Das weiß ich nicht. Wir müssen nicht immer alles wissen. Eines nach dem anderen; was zu geschehen hat, erfahren wir stets zur rechten Zeit.«
»Und was muß ich tun? Wie stelle ich es an, Herrn Jenkins zu benennen? Wenn ich ihn sehe, denke ich jedenfalls nur an eines: daß er unausstehlich ist.«
Proginoskes seufzte und reckte in schierer Verzweiflung so viele Flügel himmelwärts, daß seine Beine vom Boden abhoben, er sich plötzlich materialisierte und mit ziemlichem Lärm wieder landete. »Es gibt da ein Wort … Aber ich fürchte, wenn ich es ausspreche, könntest du es mißverstehen.«
»Du mußt es mir sagen.«
Proginoskes zierte sich ein wenig. »Fünf Buchstaben … «
»Komm schon!«
Er stieß eine mächtige Rauchwolke aus und versteckte darin ein gehauchtes: »…be.«
»Wie war das?«
»Liebe. Wer liebt oder geliebt wird, erkennt sich selbst und den anderen. Auch du bist erfüllt mit Liebe, Meg. Du hast bloß noch nicht gelernt, sie auch im Zorn zu bewahren.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Siehst du, du liebst deine Familie. Das ist leicht. Manchmal fällst du aus deiner Liebe, weil du jemanden nicht ausstehen kannst. Aber wenn du willst, findest du wieder zurück. Du hast mir einmal erzählt, wie du das machst: damals, indem du an Charles Wallace dachtest.«
»Ja … «
»Diesmal geht das nicht so einfach. Diesmal mußt du einen Schritt weiter.«
»Falls du mir jetzt einreden willst, daß ich Herrn Jenkins lieben soll, kannst du dir die Mühe sparen«, fauchte Meg. »Denk dir lieber etwas anderes aus.«
Proginoskes seufzte aus tiefster Seele. »Wenn wir diese Prüfung bestehen, wirst du ein Stückchen weitergeführt und lernst … – nun, einiges von dem, was mir meine Lehrmeister im Laufe der ersten Jahrmillionen beigebracht haben. Ich mußte ganze Galaxien von Prüfungen über mich ergehen lassen, ehe ich mich als Namengeber der Sterne qualifiziert hatte. Aber du bist ja ein Mensch, ein Erdenkind, beinahe hätte ich’s wieder vergessen; bei dir liegen die Dinge anders. Hältst du eigentlich mich für liebenswert?«
Vor Meg öffneten und schlössen sich zahllose Augen; Flügelspitzen zappelten nervös; eine kleine Flammenzunge machte sich selbständig, brannte ihr auf der Haut und zog sich erschrocken zurück. Meg zog scharf die Luft ein und hauchte auf die schmerzende Stelle auf dem Handrücken. Trotzdem hätte sie Proginoskes jetzt gern in ihre Arme geschlossen, so, wie sie manchmal Charles Wallace umarmte. »Du bist sogar sehr liebenswert«, sagte sie.
»Aber du liebst mich nicht so wie dieses Wesen aus Haut und Knochen, diesen Calvin.«
»Das ist etwas anderes.«
»Dachte ich mir’s doch. Das macht die Lage ja so konfus. In diesem Zustand kannst du unmöglich Herrn Jenkins benennen.«
»Herrn Jenkins hasse ich.«
»Meg, das ist die Prüfung: Du mußt den
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