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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Marionetten. Dann schritten sie in Reih und Glied über den Hof und betraten das Schulgebäude.
    »Wir müssen überlegen. Wir müssen ganz scharf nachdenken.« Proginoskes kythete so intensiv, daß Meg jedes Wort verstand. Am liebsten, ahnte sie, hätte er jetzt Feuer gespuckt.
    »Progo«, sagte sie, »wenn du wirklich ein Cherubim bist … «
    Eine große, unsichtbare Welle nur mühsam ertragener Kränkung war die Antwort.
    Meg schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Also gut. Du hast gesagt, ich soll nachdenken. Jetzt denke ich nach.«
    »Aber doch nicht gleich so laut! Du brauchst deine Gedanken nicht auszusprechen. Du machst mich ja taub. Versuche lieber, mit mir zu kythen, Meg.«
    »Ich weiß ja nicht einmal genau, was das ist. So etwas Ähnliches wie Telepathie?«
    Proginoskes zögerte. »Man könnte wahrscheinlich sagen, daß Telepathie als Form der Gedankenübertragung mit den Anfangsgründen des Kythens verwandt ist. Aber die Sprache der Cherubim besteht ausschließlich aus Kythen – mit dir, mit den Sternen, mit ganzen Galaxien, mit dem Salz im Meer, mit den Blättern am Baum.«
    »Da ich jedoch kein Cherubim bin, wie soll ich … ?«
    »Meg, dein Gehirn nimmt von selbst alle Sinneseindrücke wahr und speichert sie; nur fehlt deinem bewußten Verstand der Schlüssel zu diesen Speichern. Du mußt nichts weiter tun, als dich mir zu öffnen, damit ich zu den – zu den Vorratskammern deines Geistes Zutritt finde.«
    »Also gut. Ich will es versuchen.« Sich dem Cherubim auszuliefern, fiel ihr nicht leicht. Andererseits: Ihm vertraute sie instinktiv. Warum eigentlich? »Sag einmal«, fragte sie, »waren auch schon früher Cherubim auf der Erde?«
    »Selbstverständlich«, sagte er. »Woher hätte ich sonst meine Informationen?«
    »Was weißt du über uns?«
    »Man sagte mir, daß euer Heimatplanet von Schatten bedroht ist. Daß er krank ist.«
    »Die Erde ist schön!« widersprach Meg leidenschaftlich.
    Seine Flügel zuckten. »Sind eure Städte ohne Makel?«
    »Nun, das nicht, aber – aber ich lebe auf dem Land.«
    »Herrscht auf eurem Planeten Frieden?«
    »Nein, nicht überall.«
    Proginoskes rührte mit nobler Zurückhaltung an ihren Gedanken. »Ich stehe unter dem Eindruck, daß es auf eurer Erde Kriege gibt. Daß ihr einander bekämpft und tötet.«
    »Ja, das stimmt; aber … «
    »Daß viele Kinder hungern müssen.«
    »Ja … «
    »Daß die Menschen einander nicht verstehen.«
    »Nicht immer.«
    »Und daß ihr euch von Haß leiten laßt. Stimmt das?«
    »Ja.«
    Proginoskes zog sich spürbar zurück. »Warum erfüllt man mir nicht meinen einzigen Wunsch?« hörte sie ihn mit seinem Schicksal hadern. »Ich will doch nur irgendwohin gehen, wo Stille herrscht und ich in aller Ruhe die Namen der Sterne rezitieren kann.«
    »Progo! Du sagtest, wir seien Namengeber. Ich weiß noch immer nicht, was das ist.«
    »Aber das habe ich dir doch erklärt! Ein Namengeber kennt die Menschen und weiß, wofür sie bestimmt sind.«
    »Und warum sind die Echthroi hier?«
    »Echthroi sind überall dort, wo es Kriege gibt. Jeder Krieg ist ihr Werk.«
    »Progo, du hast mir diesen furchtbaren Riß im Raum gezeigt; aber du hast mir noch immer nicht verraten, was Echthroi wirklich sind.«
    Proginoskes suchte in ihrem Verstand nach Begriffen, die sie erfassen konnte. »Ich glaube, in eurer Mythologie würde man sie ›gefallene Engel‹ nennen. Ihr Handwerk ist es, Haß und Zwietracht zu säen, und ihre stärkste Waffe ist das Entnennen: dafür zu sorgen, daß die Menschen ihre Identität verlieren. Denn wer um sich selbst Bescheid weiß, wer sich selbst erkannt hat, lebt ohne Haß. Aber weil es im Universum immer noch Orte wie eure Erde gibt, brauchen wir Namengeber. Erst wenn jeder nach seinem wahren Wesen benannt ist, sind die Echthroi endgültig überwunden.«
    »Aber was soll ich … ?«
    »Ach, Erdenkind! Erdenkind! Warum denn, glaubst du, hat Blajeny dich berufen? Es herrscht Krieg in den Himmeln, und wir brauchen jeden, der uns helfen kann. Die Echthroi sind im ganzen Kosmos zum Sturm angetreten. Jedesmal, wenn ein Stern verlöscht, hat wieder ein Echthros eine Schlacht gewonnen. Ein Stern, ein Kind, eine Farandola – der Unterschied, Meg, liegt nicht in der Größe der Dinge. Jetzt haben es die Echthroi eben auf Charles Wallace abgesehen, und seine Rettung oder sein Untergang wird das Geschick des gesamten Universums mitentscheiden.«
    »Aber Progo, ich sehe noch immer keinen Zusammenhang zwischen alldem und

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