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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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wahren Herrn Jenkins benennen, und ich soll dir dabei helfen. Wenn du versagst, habe auch ich versagt.«
    »Und was geschieht dann?«
    »Du wurdest zum erstenmal von einem Lehrmeister berufen. Für dich wäre es zugleich das letztemal.«
    »Und für dich?«
    »Wer so wie ich bereits viele Lehrmeister hatte, wird vor eine Wahl gestellt. Ich müßte entscheiden, ob ich mich auf die Seite der Echthroi schlagen will.«
    »Was?!«
    »Viele, die versagten, tun das.«
    »Aber die Echthroi sind … «
    »Du weißt, was sie sind. Himmelzerreißer. Lichtschlucker. Planetenverdunkler. Drachen. Gewürm. Der verkörperte Haß.«
    »Progo, das wirst du nicht machen!«
    »Hoffentlich nicht. Aber andere haben es getan. Es ist keine einfache Wahl.«
    »Und wenn du nicht zu den Echthroi gehst … ?«
    Proginoskes bedeckte sämtliche Augen mit seinen Flügeln. »Ich bin ein Namengeber. Die Echthroi sind Namennehmer. Wenn ich nicht einer der ihren werden möchte, muß ich mich selbst exen.«
    »Progo … !«
    »Ich will dir ein Rätsel aufgeben. Was ist das? Je mehr man davon gibt, um so mehr bekommt man davon zurück.«
    »Ich nehme an, das ist die Liebe.«
    »Siehst du. Wenn nun meine ganze Liebe darin besteht, ein Namengeber zu sein, kann ich sie letztlich nur unter Beweis stellen, indem ich bereit bin, sogar mich aufzugeben. Der äußerste, endgültige Beweis meiner Liebe ist: mich selbst zu entnennen. Mich zu exen.«
    »Falls du es tust – ist das für immer?« fragte Meg erschrocken.
    »Das weiß keiner. Das erfahren wir erst am Ende aller Tage.«
    »Stehe auch ich vor dieser Wahl, wenn wir versagen?« Sie wandte den Blick vom Schulgebäude ab, starrte auf die lärmende Schar und versteckte dann ihren Kopf in der sanften Federnfülle seiner Schwingen.
    »Das ist keine Entscheidung für sterbliche Wesen, Erdenkind.«
    »Mir würde nichts weiter passieren, als daß ich wieder nach Hause gehe?«
    »Wenn du das »nichts weiter« nennen willst … Es gäbe ein Aufjauchzen in der Hölle. Aber vielleicht glaubst du gar nicht an die Hölle?«
    Meg ließ die Frage unbeantwortet. »Also, wenn wir versagen, mußt du … «
    »… dann muß ich wählen. Und lieber exe ich mich selbst, als von den Echthroi geext zu werden.«
    »Der Ort im Gestern, an den du mich geführt hast, und was du mir dort zu sehen gabst – hat Mutter davon gesprochen, als wir beim Essen saßen? Mußte Vater deshalb nach Brookhaven fahren? Und ein so mächtiges, kosmisches Ereignis soll auf irgendeine Weise mit Herrn Jenkins und Charles zu tun haben?«
    »Noch einmal, Meg: nicht die Größe zählt. Diesmal geht es um Herrn Jenkins und – vor allem – um Charles Wallace. Die Echthroi wollen ihn auslöschen.«
    »Einen kleinen Jungen!«
    »Du selbst hast behauptet, er sei kein gewöhnlicher kleiner Junge.«
    »Ja, das stimmt. Allerdings.« Die Glocke schrillte, unerbittlich, gebieterisch; Meg zuckte zusammen. »Progo, ich kann das alles noch immer nicht begreifen; aber wenn du meinst, Charles Wallace sei damit geholfen, daß ich Herrn Jenkins benenne, will ich mein Bestes tun und es versuchen. Du wirst mir doch beistehen?«
    »Ich werde es versuchen.« Sehr zuversichtlich klang das nicht.
    In der Schule hatte indessen der Unterricht begonnen. Aus den Klassenzimmern drang das übliche Scharren und Murmeln.
    Dann ging das Tor zur Halle auf, und ein Herr Jenkins kam heraus. Welcher? Die drei waren nicht auseinanderzuhalten gewesen. Meg wandte sich hilfesuchend nach dem Cherubim um, aber der hatte sich bereits dematerialisiert; nur ein zartes Schimmern verriet seine Gegenwart.
    Herr Jenkins kam immer näher. Ein prüfender Blick auf seine Schultern: Jawohl, die Schuppen waren da. Sie atmete durch die Nase ein: Ja, er roch auch nach Jenkins – nach süßlicher Pomade und ranzigem Deodorant. Aber das brachten bestimmt alle drei Jenkins zuwege. So einfach machten sie es Meg nicht.
    Er starrte sie feindselig an, ganz wie sonst, ein wenig schräg über den höckrigen Nasenrücken. »Ich nehme an, daß dich diese Schmierenkomödie nicht weniger verwirrt als mich, Margaret. Warum sich zwei wildfremde Menschen als mein Ebenbild ausgeben, bleibt mir ein Rätsel und kommt mir besonders jetzt, zu Schulbeginn, äußerst ungelegen. Als ob ich nicht ohnedies genug am Halse hätte. Wenn ich es recht verstehe, hängt dieser Überfall mit dir beziehungsweise deinem unseligen jüngeren Bruder zusammen. Und ich hatte schon die Hoffnung gehegt, in diesem Schuljahr wenigstens von dir

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