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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Farandolae waren für sie noch unvorstellbarer als die »Drachen« von Charles Wallace.
    »Wir werden wirklich eine Farandola sehen?«
    »Ja.«
    »Aber das ist unmöglich! Eine Farandola ist so klein, daß sie … «
    »Wie klein?« fragte Blajeny.
    »So klein, daß sie sich jeder herkömmlichen Vorstellung entzieht – sagt Mutter.«
    Herr Jenkins japste verwirrt.
    Blajeny nickte. »Und dennoch ist deine Mutter davon überzeugt, die Existenz von Farandolae nachgewiesen zu haben. Laßt uns einmal gemeinsam überlegen! Wir befinden uns jetzt im System Venganuel, zwei Trillionen Lichtjahre von der Erde entfernt; in einer ungefähr gleich großen Galaxis. In welchem Zeitraum rotiert eure Milchstraße einmal um sich selbst?«
    Weil sonst niemand antwortete, sagte Meg: »In zweihundert Milliarden Jahren; und rechtsdrehend.«
    »Das sollte uns eine allgemeine Vorstellung von der Größe eures Sonnensystems geben.«
    »Eine sehr allgemeine Vorstellung«, schränkte Calvin ein. »Solche makrokosmischen Größenordnungen kann unser Verstand nicht mehr begreifen.«
    »Dann versucht sie zu begreifen, ohne euren Verstand zu bemühen. Der Verstand ist begrenzt, das Anschauungsvermögen nicht. Stellt euch euer Sonnensystem in seiner Gesamtheit vor. Und jetzt denkt an eure Sonne. Sie ist ein Stern, ein großer Stern, aber doch nur ein winziges Pünktchen im Ganzen, nicht wahr?«
    »Richtig.«
    »Und jetzt vergleicht euch in Gedanken mit eurer Sonne. Bedenkt, um wieviel kleiner ihr seid. Gelingt euch das?«
    »Einigermaßen«, murmelte Meg.
    »Und nun versucht, euch die Mitochondrien vorzustellen. Sie finden sich in den Zellen sämtlicher Lebewesen; das gibt euch einen Begriff davon, wie winzig klein sie im Vergleich zur Größe eines Menschen sind.«
    »Und ich dachte, Charles Wallace hätte diese Mito bloß erfunden, um sich wichtig zu machen«, brummte Herr Jenkins.
    Blajeny sprach weiter. »Und nun zu den Farandolae. Ihr müßt euch ausmalen, daß die Farandolae um so vieles kleiner sind als die Mitochondrien, wie diese kleiner sind als der Mensch.«
    »Hilfe!« rief Calvin. »Ich kann diese mikrokosmischen Begriffe ebensowenig begreifen wie die makrokosmischen – wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Wieder nickte Blajeny. »Also dann anders ausgedrückt: Eine Farandola ist um so vieles kleiner als der Mensch, wie der Mensch kleiner ist als sein Sonnensystem.«
    Calvin pfiff durch die Zähne. »Das hieße andererseits, daß jeder von uns für eine Farandola so groß ist wie eine ganze Galaxis!«
    »Mehr oder weniger, ja. Im Grunde genommen seid ihr tatsächlich die Galaxien eurer Farandolae.«
    »Und trotzdem wollen wir so eine einzelne Farandola aus der Nähe betrachten? Wie denn?«
    Blajeny verlor nicht die Geduld. »Ich sagte euch doch, daß wir auf Metron Ariston Größe und Dimension weitgehend vergessen können. In Wahrheit sind sie nämlich unbedeutend.« Er wendete den Kopf und blickte zu den großen Urgesteinsfelsen hinüber.
    »Die Felsen … «, fragte Meg. »Sind sie wirklich da?«
    »Auf Metron Ariston ist nichts wirklich irgendwo«, erwiderte Blajeny. »Ich habe mich nur bemüht, euch die Vorstellung leichter zu machen, indem ich sie in eine euch vertraute Umgebung einbette. Und nun hört endlich auf, die Zusammenhänge mit eurem bescheidenen Menschenverstand begreifen zu wollen. Den Aufgaben, die vor uns liegen, wäre er nicht gewachsen.«
    Jetzt erst nahm auch Herr Jenkins auf der Steinplatte Platz. Er setzte sich umständlich und sagte: »Womit sonst als mit meinem Verstand soll ich etwas verstehen? Sie haben zuvor von der Auffassungsgabe gesprochen, also von der Intuition. Nun bin ich aber auch nicht gerade sehr intuitiv begabt … «
    »Ihr müßt mit euren Herzen verstehen lernen. Mit eurem ganzen Sein, nicht bloß mit Teilen eures Bewußtseins.«
    Herr Jenkins stöhnte. »Mir ist das alles zu hoch. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Was ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten. Ich habe innerlich bereits mit mir abgeschlossen.«
    »Das stimmt doch nicht, Herr Jenkins!« rief Meg. »Für einen neuen Anfang ist es nie zu spät.«
    Herr Jenkins schüttelte traurig den Kopf. »Vielleicht hättest du mich gar nicht erst benennen sollen. Warum muß ich dich plötzlich in einem neuen Licht sehen? Oder deinen jüngeren Bruder. Oder dieses abscheuliche Monster.«
    Proginoskes reagierte mit einem mittleren Vulkanausbruch.
    Herr Jenkins erstarrte vor Angst und wurde noch eine Spur bleicher.

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