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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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jedoch keineswegs blicklos; sie leuchteten wie Mondgestein.
    Das Wesen konnte sprechen. Es piepste aber nicht wie eine Maus und sprach auch nicht wie ein Mensch. Am ehesten war der Klang seiner Stimme mit einer Harfe zu vergleichen, die unter Wasser angezupft wird; und wirklich vibrierten die langen Barthaare bei jedem Wort wie schwingende Saiten. Andererseits: Dieses ungewöhnliche Geschöpf sprach nicht eigentlich in Worten, obwohl es sich mühelos verständlich machen konnte: »He, ihr seid doch nicht etwa meine neuen Gefährten?«
    Blajeny antwortete in derselben Sprache, ohne die Lippen zu bewegen. Trotzdem konnten die Kinder sein seltsames Harfengezirpe vernehmen.
    Das Mäusewesen war sichtlich gekränkt und gab seinem Zweifel unmißverständlich Ausdruck. Meg erfaßte, daß es sich darüber beklagte, schon die allereinfachste erste Prüfung gemeinsam mit Sterblichen ablegen zu müssen, wozu es höchstwahrscheinlich nicht in der Lage sein würde. Ein Cherubim könne sich ja unter Umständen als recht nützlich erweisen, aber Erdenkinder seien wirklich nichts als …
    »Auch ich hatte zunächst große Vorbehalte gegen sie«, unterbrach Proginoskes. »Aber das Menschenmädchen und ich haben soeben die erste Prüfung bestanden, und das ist ihrer Leistung zu danken.«
    Das Mäusewesen ließ geringschätzig die Schnurrhaare hängen. »Dann kann es mit dieser Prüfung nicht weit her gewesen sein. – Fangen wir endlich an, Blajeny? Ich sehe schon, daß ich meinen Partnern erst eine Menge beibringen muß – den Cherubim leider nicht ausgenommen.« Sein langer, lavendelfarbener Schwanz mit der Fischflosse an der Spitze peitschte ungeduldig gegen den Boden, und die Schnurrhaare sträubten sich Meg entgegen.
    In Meg sträubte sich auch alles. »Wenn ich einmal so alt bin wie du, habe ich bestimmt so viel gelernt, daß du bei mir Nachhilfeunterricht nehmen mußt.«
    Die Barthaare des Mäusewesens begannen erregt zu vibrieren. »Das Alter ist keine Wertgröße. Mich, zum Beispiel, gibt es erst seit gestern.«
    »Und was machst du hier?«
    Das Mäusewesen richtete sich würdevoll auf, bis es eher wie eine Garnele aussah, die ihren langen, dünnen Fühler schwenkt. »Heutzutage wird nur noch alle paar Generationen einmal eine Farandola geboren; und kaum sind wir da, beginnen wir Farandolae mit dem Unterricht.«
    »Du bist eine Farandola?«
    »Was denn hast du geglaubt? Es ist allgemein bekannt, daß Farandolae … «
    »Es ist eben nicht allgemein bekannt!« widersprach Meg zornig. »Bis vor kurzem hatten wir von der Existenz der Farandolae nicht einmal die geringste Ahnung. Erst seit wir erste Kenntnisse über die Mitochondrien erlangt haben und meine Mutter mit dem Mikro-Sonaroskop Farandolae von Mitochondrien experimentell isoliert hat, begreifen wir, wie diese beiden zusammenhängen. Und selbst mit dem besten Mikro-Elektronenmikroskop lassen sich Farandolae lediglich in ihrer Existenz nachweisen; wirklich gesehen hat sie noch keiner.«
    Die Schnurrhaare des Mäusewesens – der Farandola – kräuselten sich ungläubig. »Müssen das geistig beschränkte Geschöpfe sein, wenn sie nicht einmal wissen, wer in ihrem Innenleben haust! Noch dazu, wenn sie das Glück haben, von Farandolae aufgesucht zu werden. Wir sind nämlich sehr, sehr wichtig und nehmen ständig an Bedeutung zu.«
    Hinter der Farandola, hinter Proginoskes und Louise der Großen wehte es plötzlich eine Jenkins-förmige Erscheinung über den Himmel.
    Herr Jenkins, der zwischen Meg und Calvin stand, zuckte zusammen.
    Blajeny machte ein grimmiges Gesicht. »Die Echthroi sind unterwegs.«
    Die Farandola-Maus achtete gar nicht darauf. »Mein Quercus, mein Stamm also, hat seit hundert Jahren keinen Ableger mehr produziert«, erklärte sie hochnäsig. »Hundert Jahre nach unserer Zeitrechnung, versteht sich. Und noch einmal so lang brauche ich, um zu voller Größe heranzuwachsen – und selbst das ist erst meine zweite Entwicklungsphase.«
    Meg gab sich von ihrer unfreundlichsten Seite. »Jetzt bekommen wir wohl ausführlich deine erste Phase geschildert, ob wir wollen oder nicht. Also, schieß los!« Der Anblick von Charles Wallace und seinem Verfolger, dem Echthros-Jenkins, hatte ihr mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, daß mit der ersten Prüfung längst nicht alle Gefahren bestanden waren.
    Die Maus-Garnelen-Farandola reagierte mit heftigstem Fühlerzucken. »Gestern früh war ich noch in der goldenen Frucht meines Quercus-Baumes geborgen. Zur

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