Der Riss im Raum
aufs Spiel setzt.«
Proginoskes tupfte vorsichtig und sanft forschend an ihre Gedanken. Dann seufzte er und sagte: »Ich kann deine Gefühle nicht begreifen. Ich bemühe mich sehr, aber es gelingt mir nicht. Es muß ausgesprochen unangenehm sein, Gefühle zu haben.«
»Wofür wirst du dich entscheiden, Progo?«
Stille. Keine Flamme. Kein Rauch. Alle Augen waren geschlossen, alle Flügel an den Körper gelegt. Was er sie empfinden ließ, war kaum ein Hauch von Worten: »Wenn du versagst, werde ich mich selber exen.«
Er verschwand.
Meg wandte sich um. Vom Parkplatz her näherte sich im Gleichschritt der widerwärtige dreifache Jenkins.
Jenkins Eins schnupfte; seine rosige Nasenspitze zuckte ekelerregend. »Da bin ich wieder. Ich habe Charles Wallace bei seiner Mutter abgeliefert. Und nun schaffe mir, bitte, endlich diese beiden ungebetenen Spießgesellen vom Hals. Ich lasse mir diesen Eingriff in mein Privatleben nicht länger bieten.«
Jenkins Zwei wies anklagend auf Jenkins Eins. »Als dein kleiner Bruder die Schlange in die Schule brachte, verlor dieser Hochstapler die Beherrschung und zeigte sein wahres Gesicht. Er vergaß sich und nannte den armen Charles einen Idi…«
»Stop!« unterbrach ihn Jenkins Drei. »Die Bezeichnung war ungehörig und verdient es nicht, im Angesicht dieses Mädchens wiederholt zu werden.«
Jenkins Zwei sagte: »Er kann Kinder eben nicht ausstehen.«
Jenkins Drei sagte: »Er kann mit Kindern eben nicht umgehen.«
Jenkins Zwei sagte: »Bei mir wird Charles Wallace glücklich sein.«
Jenkins Drei sagte: »Bei mir wird Charles Wallace erfolgreich sein.«
Jenkins Eins sagte nichts und schaute bloß auf die Uhr.
Meg schloß die Augen. Auf einmal fühlte sie nichts mehr. Sie hatte ihre Gefühle überwunden, sofern das überhaupt möglich war – und da Proginoskes es behauptete, war es wahrscheinlich tatsächlich möglich. Sie empfand nur ein seltsames, nüchternes Bewußtsein, das mit herkömmlichen Gefühlen nichts gemein hatte. Ihre Stimme verlor Klang und Ausdruck, löste sich wie von selbst von ihren Lippen, völlig emotionslos: »Jenkins Drei … «
Er trat vor, mit triumphierendem Lächeln.
»Nein. Sie sind es nicht. Sie verkörpern zu viel Macht. Nie hätte man Sie aus einer Oberschule, in der Sie sich nicht durchzusetzen vermochten, in eine Dorfschule abgeschoben, in der Sie sich ebensowenig durchsetzen können.«
Meg betrachtete abwechselnd die beiden anderen Jenkinse.
»Jenkins Zwei … «
Der feixte.
Wieder schüttelte Meg den Kopf. »Bei Ihnen war ich mir meiner Sache lange nicht sicher. Aber daß Sie alle Menschen glücklich machen wollen, indem Sie sie gleichmachen, ist ebenso schlimm wie die absolute Gewalt, für die Jenkins Drei eintritt. Der wahre Herr Jenkins ist jener von Ihnen, der menschlich bleibt, schwach und fehlerhaft – und das sind Sie, Jenkins Eins.« Plötzlich mußte sie lachen, so sehr staunte sie über sich selbst, als sie sagte: »Und für Ihre Schwäche liebe ich Sie.«
Dann brach sie, erschöpft und völlig verausgabt, in Tränen aus. Aber sie war sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben.
In diesem Augenblick wurde der Schulhof von einem schrecklichen Heulen und Kreischen erschüttert, und das kalte Nichts, mit dem die Echthroi ihre Anwesenheit preisgaben, schnitt Riß um Riß in den Himmel, bis seine verwundete Bläue sich endlich wieder schloß und verheilte.
Stille. Große Stille. Und friedvolle Ruhe. Und ein leiser, alltäglicher Windhauch.
Proginoskes materialisierte sich. Langsam entfaltete er Schwinge um Schwinge, und seine zahllosen Engelsaugen begannen zu strahlen.
Jenkins Eins, der wirkliche Herr Jenkins, fiel in Ohnmacht.
Metron Ariston
M eg beugte sich über Herrn Jenkins. Daß Blajeny da war, erkannte sie erst, als sie seine Stimme hörte.
»Aber Proginoskes!« schalt er. »Du solltest allmählich gelernt haben, Menschen nicht gleich mit deinem Anblick zu erschrecken; am wenigsten solche, die wie Herr Jenkins, nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte sind.« Er stand zwischen Meg und dem Cherubim, beinahe haushoch, und wirkte teils amüsiert, teils verärgert.
Proginoskes zuckte zur halbherzigen Entschuldigung mit einigen Flügelspitzen. »Ich war plötzlich so erleichtert … «
»Begreiflicherweise.«
»Wird dieser – hm, dieser Herr Jenkins überhaupt jemals in den Vollbesitz seiner Kräfte gelangen?«
»Welch ein engstirniger und einschränkender Gedanke!« sagte Blajeny vorwurfsvoll. »Proginoskes, du setzt
Weitere Kostenlose Bücher