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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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gespenstisch grüßenden Vorderbeine lag noch immer auf ihrer Zunge.
    „Das war nur ein Darkling, Rex. Du redest von der Wüste.
    Dort draußen gibt es dutzende, vielleicht sogar hunderte. Wir wissen gar nicht, wie viele.“
    „Ich hab mich noch nicht entschieden, okay?“
    Sie blickte zu dem Streifen des dunklen Mondes am Horizont hinaus, den sie nach beflügelten Gestalten absuchte. Als Rex vorgeschlagen hatte, sie sollten heute Nacht ohne Jessica hierherfahren, hatte sie sich erst gefragt, ob das eine gute Idee war. Sie hatten schon öfter gemeinsam Darklingen standgehalten, aber dieser Ort hatte riesige Gleiterschwärme angezogen, und der Geschmack nach alten Geistern lebte hier weiter.
    Als sie sich aber küssten, wurde Melissa bewusst, dass sie mit Rex hier sicher war. Jedenfalls vor Darklingen. Er war einer von ihnen geworden, und gleichzeitig war er Mensch.

    Plötzlich fiel ihr etwas Eigenartiges auf – neben den Schienen fielen ein paar Blätter. Mit ihrem sanften, roten Leuchten sahen sie hier in der blauen Zeit absolut seltsam aus. Es war der Riss, ein Splitter nicht erstarrte Zeit. Hier musste Cassie Flinders gestern Morgen gestanden haben.
    Melissa seufzte. Sie mussten sich heute Nacht um das Mädchen kümmern, statt herumzusitzen und zu reden. „Okay, Rex, vielleicht kannst du wirklich mit Darklingen reden. Sag mir aber Bescheid, bevor du etwas unternimmst.“
    Er lachte. „Glaubst du, du könntest mich umstimmen?“
    „Das würde ich dir niemals antun, Rex.“
    „Schwörst du mir das, Cowgirl? Nie wieder, nicht mit mir und auch sonst mit niemandem, wenn ich nicht dabei bin?“
    „Unbedingt.“
    Er nahm ihre Hand, und Melissa ließ die Gewissheit ihres Versprechens in ihn hineinfließen. Was aus Rex auch werden mochte, welches Risiko er auch einzugehen beschloss, niemals würde sie einen einzigen Gedanken in seinem Kopf verbiegen oder austauschen …
    Auch nicht, um dein Leben zu retten.

    Sie überquerten die Schienen, mit einer Pause, um sich den Riss in der blauen Zeit anzusehen. Ein roter Schimmer fuhr an seinen Rändern entlang. Inzwischen war er so groß wie ein Truck, viel größer als zu dem Zeitpunkt, in dem Cassie hindurchgetreten war, während ihre Großmutter ganz in ihrer Nähe erstarrt stand. Die Blätter der beiden Bäume, die darin gefangen waren, schwebten zu Boden.
    Rex trat in den Riss und fing ein Blatt auf. Er ließ es los, es fiel weiter.
    „Irgendwie fühlt man sich hier drin anders.“

    „Wird er ständig größer? Jetzt zum Beispiel auch?“
    Er schüttelte den Kopf. „Nur während der Finsternis, sagt Dess. Wie bei einem Riss während eines Erdbebens, der sich verändert.“
    Sie zog ihn weg. Von dieser ganzen Sache mit dem Riss bekam sie Gänsehaut. Das Letzte, was Melissa gebrauchen konnte, war eine Invasion nerviger Menschen in der Midnight.
    „Komm jetzt.“
    Cassie Flinders wohnte in einem Doppelwohnwagen, dessen Betonzähne sich tief in den harten Boden eingegraben hatten, um sich hartnäckig gegen den Oklahomawind zur Wehr zu setzen. Über der Tür hing schon die Halloweendekoration –
    ein grinsendes Papierskelett mit schwingenden Gliedmaßen, orangefarbene und schwarze Flaggen, die blau leuchteten.
    Rex starrte das Skelett eine Weile an.
    „Ein Freund von dir?“, fragte Melissa.
    „Ich glaub nicht.“ Er stieß die Fliegentür auf, deren rostige Zargen durch die blaue Zeit läuteten. Die Holztür dahinter war nicht abgeschlossen. Rex grinste. „Tapferes Landvolk.“
    Sie drangen in das blau erleuchtete Heim ein, unter ihren Schritten knarrten die Bodendielen. Melissa fragte sich, ob das alte Holz bis zum Ende der geheimen Stunde unten blieb, um dann mit einem letzten Seufzer hochzuschnellen – woraus ein knarrender Chor wurde, der Schlag Mitternacht erschallte.
    Flyboy dachte ständig über solche Sachen nach. Ihn müsste sie fragen …
    Eine alte Frau saß an einem Küchentisch, vor sich eine Schale mit einem unappetitlich blau leuchtenden Inhalt. Ihre Augen starrten gebannt auf einen leeren TV-Bildschirm. Melissa hielt sich von ihr und der reglosen Rauchwolke fern, die von der Zigarette zwischen ihren Fingern aufstieg.

    Cassies Zimmer lag in der einen Ecke. Die Tür war mit Zeichnungen und noch mehr Halloweendeko bepflastert. Rex deutete auf eine schwarze Katze. „Komisch, dass sie das nach gestern Nacht nicht abgenommen hat.“
    „Katzen“, sagte Melissa abfällig. „Selbstgefällige, introvertierte kleine Viecher.“ Dann ergänzte sie

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