Der rollende Galgen
ging er zur Tür.
Suko folgte ihm. Vor dem Verlassen des Raumes drehte er sich noch einmal um. Er warf mir einen beruhigenden Blick zu und gab auch ein knappes Lächeln von sich. Dann waren die beiden verschwunden. Douglas wischte über sein Gesicht. »Verdammte Hitze!« schimpfte er.
»Ich habe das Gefühl, in einer Sauna zu hocken. Dieses Jahr ist schlimm. Die Ostküste leidet unter der Flitzewelle, und in diese Buden dringt keine frische Luft.«
Ich ging zum Fenster, um es zu öffnen, merkte aber, daß der Griff ein Schloß besaß und sich nicht drehen ließ. »Der Alte hat das Fenster abgeschlossen.«
»Tatsächlich?« Abe trat neben mich. Unsere Blicke fielen in einen Hof, wo sich zahlreiche Bewohner aus dem Block aufhielten. Sie hatten Stühle, Tische und Bänke nach draußen gestellt. In der Mehrheit waren es Frauen, die ihre heißen Wohnungen verlassen hatten. Sie und die wenigen Männer hockten getrennt. »Das ist noch das alte Rollenspiel. Schau an«, sagte Abe.
Ich trat wieder zurück, weil ich nicht unbedingt gesehen werden wollte. Douglas zündete sich eine Zigarette an. »Glaubst du an das, was Joseph gesagt hat?«
»Sicher.«
»Dann spürst du auch etwas von der Atmosphäre?«
Ich schaute mir einen alten Speer an, der an der Wand hing. »Was ich spüre, kann ich dir nicht sagen. Jedenfalls meldet sich mein Kreuz nicht. Es bestimmt keine unmittelbare Gefahr, wie ich meine.«
»Wie ich von dir erfahren habe, gibt es doch auch Magien, auf die dein Kreuz nicht reagiert.«
»Das stimmt.«
»Dann liege ich ja richtig.«
»Meinst du, daß wir es mit einer…« Ich sprach nicht mehr weiter. Mein Blick war auf die Tür gefallen; denn dort bewegte sich plötzlich die Klinke vorsichtig nach unten. Durch die Bewegung meiner rechten Hand wies ich Abe darauf hin. Douglas drückte seinen Glimmstengel in einer Tonschale aus, trat in den toten Winkel und faßte nach seiner Waffe, ohne sie allerdings aus der Halfter zu ziehen.
Die Klinke war nach unten gedrückt worden, blieb in der Haltung, weil die Person hinter der Tür sich noch nicht traute, den Raum zu betreten. Auch ich stand im Schatten. Sekunden vergingen. Dann endlich schob sich die Tür nach innen.
Ich sah einen Kopf, ein Gesicht, umrahmt von langen Haaren. Dunkle Augen schauten in den Raum.
Hin Madchen…
»Wollen Sie nicht hereinkommen?« fragte ich leise. »Wir tun Ihnen nichts, wir sind Freunde von Joseph.«
Meine Stimme mußte beruhigend auf das Mädchen gewirkt haben, denn die Tür wurde so weit aufgestoßen, daß die Fremde den Raum betreten konnte. Abe Douglas löste sich aus seiner Deckung. Wir sahen, wie die junge Frau erschrak.
»Keine Sorge«, sagte Abe, »auch ich gehöre zu Josephs Freunden. Er hat uns eingeladen und uns gebeten, hier auf ihn zu warten.«
Sie nickte, und ihre langen dunklen Haare gerieten dabei in Bewegung.
»Ich heiße Nabila«, sagte sie.
Auch wir sagten unsere Vornamen, während sie die Tür schloß. »Und was haben Sie von Joseph gewollt?« fragte ich.
Sie blieb stehen und hatte die Handflächen gegen ihre Brust gelegt. »Ich wollte ihn warnen.«
»So? Vor wem?«
»Vor dem Tod…«
***
Mit dieser Antwort hatten wir beide nicht gerechnet, deshalb zeigten wir uns auch so überrascht, was Nabila natürlich nicht verborgen blieb. Auch sie war blaß geworden, überhaupt wirkte sie sehr zerbrechlich, wie eine schöne Puppe.
»Haben wir richtig gehört?« fragte Douglas.
Sie nickte. »Ja, es ist leider so. Ich… ich weiß, daß Joseph getötet werden soll.«
»Weshalb?«
»Er hat die Regeln verletzt.«
»Welche?« Diesmal hatte ich sie angesprochen.
»Durch euch. Er hätte euch nicht in das Haus lassen sollen. Man hat euch gesehen, darüber gesprochen, und jetzt zieht man das Netzt allmählich enger. Auch Joseph wird sich darin fangen. Sie wollen ihn opfern, ich habe es gehört. Für sie ist Joseph ein Verräter an der Sache des roten Mannes, wie sie sagten.«
»Wer sind sie?«
»Die Herrscher.«
»Das müssen Sie genauer erklären.«
»Die Männer, die hier das Sagen haben. Aconagua und seine…«
»Was hast du da gesagt?« rief Abe so laut, daß Nabila erschrak.
»Aconagua?«
»Ja, so heißt er. Er ist hier der Häuptling, wenn man das so sagen darf. Er ist der Stärkste im Block.«
»Können Sie ihn beschreiben?« fragte ich.
»Warum nicht.« Wir bekamen eine Beschreibung, die uns unter die Haut ging. Denn diesen Aconagua kannten wir, obwohl wir ihm persönlich nicht begegnet waren, aber
Weitere Kostenlose Bücher