Der rollende Galgen
Sachen gepackt?«
»Nein, aber es geht schnell.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im vierten Stock.«
»Wir gehen mit hoch«, sage Abe.
Nabila stand auf. Verlegen wischte sie sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Das braucht nicht zu sein. Ich komme auch allein zurecht. Wenn die anderen sehen, daß Fremde bei mir sind, könnten sie Schlimmes tun.«
»Wenn Sie allein sind, Nabila, dann haben Sie keinen Schutz. Daran sollten Sie auch denken.«
»Das stimmt.«
»Also kommen Sie. Es wird Sie schon niemand fressen.« Ich lächelte.
»Abe Douglas und ich sind im übrigen unverdaulich.«
»Ja, es ist gut.«
Wir verließen Josephs Zimmer. Einen Lift gab es auch im Haus, den aber wollten wir auf Anraten des Mädchens nicht nehmen. Nabila fühle sich darin wie in einem Gefängnis.
Die Eingangstürstand noch immeroffen. Inzwischen war die Sonne verschwunden. Sie schickte keine Strahlen mehr in die künstlichen Canyons der Millionenstadt. Über dem Asphalt brütete die Hitze. Abgaswolken fahrender Autos und Motorräder zogen durch die
›Canyons‹. Vom Seaport-Viertel wehten Stimmen herüber, auch Musikklänge und das Dröhnen einer Schiffssirene. Wir nahmen die Treppe.
Auf dem ersten Absatz hockten zwei Frauen, unterhielten sich flüsternd und schauten nicht auf, als wir sie passierten. »Die haben uns trotzdem gesehen«, sagte Nabila.
»Das kann ich mir vorstellen.«
In der ersten Etage standen einige Wohnungstüren offen, um Durchzug zu bekommen, denn in den Fluren war es verdammt schwül und stickig. Die Gerüche schienen an den Wänden zu kleben. An manchen Stellen sah ich faustgroße Löcher, als hätten querschlagende Geschosse den Putz herausgeschlagen.
Je höher wir kamen, um so unwohler fühlte ich mich. Allein aus dem Grunde, weil wir uns immer weiter vom Ausgang entfernten und außer Nabila und Joseph wahrscheinlich nur von Feinden umringt waren. Hinzu kamen die Hitze und die anderen Menschen, die uns mißtrauisch oder feindselig anschauten, wenn wir sie passierten. Über meinen Rücken rannen die kalten Schweißtropfen in langen Bahnen. Irgendwo war ich froh, als wir die vierte Etage erreicht hatten und die graue Tür zu Nabilas Wohnung ansteuerten.
Vor ihr hockte ein junger Mann. Als er uns kommen sah, stand er auf. Er sah aus wie ein Irokese mit seinem eingefärbten roten Haarkamm. Sein Gesicht war breit, negroid, mit indianischem Einschlag, ein Mischling. Nabila blieb stehen. Ihr Gesicht zeigte einen abweisenden Ausdruck, sie mochte den jungen Mann nicht, der über seinem nackten Oberkörper nur zwei Hosenträger trug, die seine zerfetzten Jeans hielten.
»Was willst du?«
»Dich warnen. Auch soll ich dich grüßen. Kannst du dir denken, von wem?«
»Sage Aconagua, daß ich auf seinen Gruß verzichten kann.«
Der Junge grinste. »In dieser Nacht holt er dich. Da legt er dich um, da macht er dich fertig.« Er unterstrich die Worte durch eindeutige Gesten, und das war Abe Douglas zu viel.
Er gehörte zu den Männern, die im New Yorker Sumpf umherkrochen, die sich tagtäglich mit dem Verbrechen herumzuschlagen hatten und sich deshalb nichts gefallen ließen. Sie gingen anders mit den Leuten um. Bevor sich der Mischling versah, hatte Abe zugepackt. Er schleuderte ihn bis gegen die Wand zurück.
»Du hältst jetzt dein Maul, klar?«
Der Junge grinste. »Bulle?«
»Aber sicher.«
Der Punker spie aus. »In zehn Jahren habe ich einen Bullen-Friedhof angelegt und spucke auf eure Gräber. Darauf kannst du dich verlassen, du Affe…«
»Halt's Maul, keine Beleidigungen.«
Nabila hatte mittlerweile aufgeschlossen. Sie stand halb gedreht auf der Türschwelle. »Kommen sie bitte mit rein.«
»Ja.«
Ich war schon vorgegangen und hörte Abes Frage. »Was machen wir mit diesem Schmierfink hier?«
»Laß ihn gehen, Abe.«
»Ungern.« Dann zischte er: »Hau ab, du Ratte. Schleich dich!«
Der Punker ging. Nach einigen Schritten lachte er. Es hörte sich grausam und wissend an.
Ich schaute mich inzwischen um. Nabila bewohnte zwei kleine Räume. In einem befand sich noch die Naßzelle. Eine schmale Dusche, durch einen gelben Vorhang verdeckt.
Sie öffnete die Tür zum Nebenraum. »Ich packe noch«, sagte sie.
»Warten Sie solange.«
»Okay.« Nabila verschwand, ich trat an das Fenster und schaute nicht nur hinab auf die Straße, sondern auch gegen das Stahlskelett der Brooklyn Bridge. Über die Brücke huschten die Fahrzeuge hinweg. Die hellbleichen Scheinwerfer sahen aus wie schnell vorbeifliegende
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