Der rollende Galgen
schluckte.
Er drückte bereits auf den Auslöser, denn er hatte in dem Nebel den kompakten Schatten erkannt.
Das war der Galgen an dem die Schlinge baumelte. Sie schwang hin und her, etwa in Augenhöhe der Frau. Penn sah sie kaum, trotzdem wußte er, daß sie in einer unnatürlichen Haltung am senkrechten Balken des Galgens stand und vor sich stets die schaukelnde Schlinge sah. Die Haltung der Frau ließ nur einen Schluß zu. Man hatte sie gefesselt. Er dachte darüber nicht länger nach. Seine Probleme waren anders. Welche Kraft trieb den Galgen an? Fuhr er von allein? War ein Motor eingebaut worden? Er wußte es nicht, lief jedoch auf den Galgen zu. Das Herz klopfte ihm schon hoch zum Hals. Die geisterhaften Nebelschwaden erinnerten ihn an Arme, die mit feuchten Fingerspitzen über seine verschwitzte Haut strichen.
Als er stehenblieb, stoppte auch der Galgen. Erst zwei Meter vor ihm war er zur Ruhe gekommen.
Penn überwand die Distanz mit einem Sprung. Er landete auf den Bohlen. Als er sich aufrichtete, berührte ihn die Schlinge. Penn schrak zusammen. Er mochte nicht von einem Hanfseil gestreichelt werden.
Mit einer Bewegung der Linken schleuderte er die Schlinge zur Seite, duckte sich noch und näherte sich dem Mädchen.
Die Person war tatsächlich gefesselt. Mit dem Rücken an den Galgenbaum.
Penn ging trotzdem auf das Mädchen zu. Er wollte sie befreien. Wer immer das Mädchen gefesselt haben mochte, ohne Motiv oder Absicht hatte er es sicherlich nicht getan. Seiner Meinung nach würde das Mädchen das nächste Opfer dieser verdammten Mörder werden. Dies wollte er verhindern.
Sie schauten sich gegenseitig an. Diese Sekunden nahm sich der Fotograf Zeit. Er besaß ein Gedächtnis für Gesichter, besonders dann, wenn es ein auffallendes und exotisches Gesicht war, wie eben bei dieser noch jungen Person.
Dennoch war er sicher, das Mädchen nie zuvor gesehen zu haben. In der Nähe wohnte die Kleine wohl nicht.
»Wer bist du?« fragte er und suchte nach seinem Taschenmesser, um es aufklappen zu können.
Sie verriet ihm seinen Namen nicht. Die Lippen öffneten sich, als sie bat, er möge gehen.
»Klar, gehen wir, aber gemeinsam.«
»Nein, bitte, du mußt weg.« Das Sprechen fiel ihr schwer, weil der Strick auch um ihren Hals gelegt worden war.
Er klappte das Messer auf. »Soll ich vielleicht zusehen, wie sie dich aufhängen?«
»Ich… ich lebe ja noch.«
»Klar, und gleich wird es dir bessergehen, darauf kannst du dich verlassen.« Er überlegte, wo er die Fesseln zuerst auftrennen sollte. Es war bestimmt besser, wenn er an der Rückseite des Galgens anfing. Als er die Klinge aus dem Holzschaft gezogen hatte und sich um die Gefangene herumbewegen wollte, sprach sie ihn noch einmal an. Diesmal klang ihre Stimme sehr hektisch.
»Nein, wenn dir dein Leben lieb ist, laß es bleiben. Ich… ich bitte dich darum.«
»Erzähle mir keine Geschichten, Mädchen. Du bist zu schade für diese Typen.« Penn hatte die Klinge bereits an einer Stelle angesetzt, als er sich plötzlich nicht mehr rührte.
Etwas war ihm aufgefallen. Die Bohlen unter seinen Füßen bewegten sich.
Aber hinter ihm…
Auf einmal kroch eine Gänsehaut über seinen Rücken. Er vernahm auch die geflüsterten Worte der Gefangenen. »Zu spät, mein Freund. Viel zu spät…«
Penn drehte sich um!
Was er sah, glich einem Alptraum…
***
Keiner von uns wußte, was Aconagua den Bewohnern des Blocks gesagt oder befohlen hatte, jedenfalls wollten sie uns daran hindern, das Haus zu verlassen.
Wir hatten den rechteckigen und ziemlich geräumigen Eingangsflur bereits erreicht, als mehrere jugendliche Personen die Tür schließen wollten.
»Laßt es sein!« rief Joseph scharf.
»Du wirst bleiben, Alter, und deine verfluchten weißen Freunde auch. Hier kommt niemand raus!«
»Sagst du das?« rief Joseph.
»Ja, und Aconagua!«
»Das soll er uns selbst erzählen!« Joseph ging vor. Wir hielten es für besser, zunächst nicht einzugreifen, weil wir keine unnötigen Emotionen entfachen wollten.
Zwei andere stießen Joseph zurück. Er prallte gegen die Wand. Das war des Guten zu viel.
Blitzschnell griff Suko ein. Als die beiden Kerle nachsetzen wollten, war er bei ihnen.
Er knallte sie mit den Köpfen zusammen. Ziemlich grün im Gesicht sanken sie auf die Knie.
»Noch jemand?« rief der Inspektor.
Neben mir stand Abe Douglas. Wie ich, so beobachtete auch er die lauernden und schweigenden Gestalten.
Dann klirrte etwas. Es hatte sich
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