Der rollende Galgen
weglaufen sollen. Jetzt ist es zu spät. Sie werden dich holen und hängen…«
Hängen! Das letzte Wort echote in seinem Kopf nach. Nein, so weit war es noch nicht. Er wollte nicht den rauhen Druck der Schlinge am Hals spüren. Die drei Gestalten vor ihm regten sich nicht. Sie standen wie Schaufensterpuppen da und stierten ihn böse an.
»Tut mir leid für dich, Kleines!« sagte er leise. »Tut mir verdammt leid, aber ich kann nicht anders, ich muß weg.« Er grinste verzerrt. »Vielleicht kann ich noch Hilfe holen, vielleicht…«
»Du bist schon tot«, erwiderte sie. »So gut wie tot. Er ist da, hinter dir…«
Aconagua griff zu. Penn hatte ihn weder gehört noch gesehen, aber er spürte den Druck der eisenharten Klaue, die seinen Hals umklammerte, so daß sich der Fotograf aufbäumte. Die kostbare Kamera rutschte ihm aus der Hand und rollte über die Kante des Galgens. Er bäumte sich auf. Ein wenig konnte er den Kopf nach rechts drehen, schaute in das Gesicht des Mädchens und in dessen traurige Augen. Sie bewegte noch die Lippen, als wollte sie ihm etwas sagen. Ihm kam es vor wie ein stummer Abschiedsgruß.
Aconagua lachte kratzig. Er besaß Bärenkräfte und hob William Penn kurzerhand an.
Dessen Fußsohlen schwebten über die Balken hinweg, als er zum Gerüst gedrückt wurde. Er strampelte mit den Beinen, schlug die Arme nach hinten, merkte auch, daß die Fäuste trafen. Ebensogut hätte er vor eine Gummiwand schlagen können; denn er bekam keine Reaktion. Dann sah er die Schlinge vor sich. Er schaute hindurch. In die drei Gestalten war Bewegung gekommen. Sie schritten sehr langsam vor und gingen dabei auseinander. Sie konnten sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Zwei von ihnen kümmerten sich um Penn, der dritte reckte die Arme und bekam den Strick dicht über der Schlinge zu fassen.
»Nein, nein!« würgte der Fotograf hervor. »Ihr seid wahnsinnig! Ihr könnt mich doch nicht hängen.«
Aconagua ließ ihn los und schleuderte ihn gleichzeitig in die auffangbereiten Arme seiner Kumpane.
Die hatten darauf gewartet. Eisern hielten sie den Mann fest. Ihre Hände glichen Zangen, in den Fingern mußte schon eine übernatürliche Kraft stecken.
Der Schiingenrand streifte schon über sein Gesicht, zog Furchen in den Schweiß.
Dann war es soweit.
Der dritte legte ihm die Schlinge um. Aconagua bewegte sich auf das Gerüst zu. Er passierte dabei das gefesselte Mädchen. Sein Gesicht hatte einen blaugrauen Schimmer bekommen, als wäre es mit Metallpulver eingerieben worden. Nabila flehte um das Leben des ihr fremden Mannes. »Bitte, tu es nicht! Laß ihn leben, ich bitte dich!«
Er schaute sie nur an.
Kalt, grausam, unerbittlich war sein Blick. Da wußte Nabila, daß er dem Mann keine Chance einräumen würde.
Noch wehrte sich Penn. Er hing bereits in der Schlinge. Er wollte etwas sagen, aber eine Klaue fuhr über sein Gesicht. Die Fingernägel hinterließen Spuren in der dicken Schicht aus Angstschweiß. Es war nur als Ablenkung gedacht, denn im selben Augenblick drehte Aconagua an der Kurbel.
Sie quietschte erbärmlich. Eine widerliche Totenmelodie für einen Fotografen, der New York von seiner schönen Seite hatte zeigen wollen und seine Neugierde nun mit dem Leben bezahlte.
Nabila hielt die Augen geschlossen. Sie wollte das Grauenhafte nicht sehen. Allein das Quietschen der Winde erzeugte in ihr furchtbare Gefühle.
Sie öffnete die Augen auch nicht, als das Geräusch verstummt war. Unbeweglich blieb sie stehen und spürte nur den Druck des kantigen Holzpfostens an ihrem Rücken.
Es wurde still. Sekundenlang hielt die Ruhe an, bis sie von Schritten unterbrochen wurde.
Sie klangen erst hinter Nabila auf, dann vor ihr. Eine Hand griff in ihr Gesicht, drückte die Haut an den Wangen zusammen. »Öffne die Augen, Nabila! Öffne sie!« Sie schüttelte den Kopf.
Aconagua ließ sich davon nicht beeindrucken. Er zwang sie, die Augen zu öffnen. Das Bild hatte sich verändert.
Nabila schaute auf den Rücken des Fotografen. Seine Füße pendelten eine halbe Armlänge über dem Boden.
»Ihr habt ihn getötet!« brachte sie flüsternd hervor. »Ihr habt ihn getötet, ihr verfluchten Mörder!«
»Ja.« Aconagua nickte. »Wir haben ihn getötet. Und es werden andere folgen, darauf kannst du dich verlassen. Der Galgen rollt, die Nacht der Rache ist da!«
Die Worte waren wie ein Zeichen. Durch das Galgengestell ging ein Ruck, im nächsten Moment begannen sich die Räder zu drehen. Sie rumpelten und
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