Der Rosenmord
Kraft und allen Mitgefühls wenden und um Hilfe beten. Die Gnade des Herrn wird dich nicht im Stich lassen. Du dienst am Marienaltar, und die Jungfrau Maria ist der Inbegriff der Reinheit. Gibt es einen besseren Ort, um Gnade zu bitten?«
Den gab es tatsächlich nicht! Doch die Gnade ist kein Fluß, in den ein Mensch nach Gutdünken seinen Eimer tauchen kann.
Sie ist eine Quelle, die sprudelt, solange es ihr beliebt, und die zu anderen Zeiten austrocknen und öde sein kann. Eluric tat seine Buße vor dem Altar, den er frisch geschmückt hatte. Er kniete auf den kalten Bodenkacheln, sprach halb erstickt vor Leidenschaft seine Gebete und blieb danach noch lange hocken, um den vollkommenen Frieden mit jeder Faser seines Körpers aufzunehmen. Er hätte glücklich sein sollen, denn er war erlöst, erlöst von der Last einer Todsünde, erlöst davon, je wieder Judith Perles Gesicht sehen oder ihre Stimme hören zu müssen oder den süßen Duft zu atmen, der bei jeder Bewegung aus ihren Kleidern drang. Frei von dieser Qual und Versuchung hatte er geglaubt, seine Sorgen nähmen ein Ende.
Jetzt wußte er es besser.
Er rang schmerzlich die Hände und begann heftige, stumme Gebete an die Jungfrau zu richten, deren treuer Diener er war.
Sie konnte, sie mußte ihm jetzt beistehen. Doch als er die Augen aufschlug und in die sanften goldenen Kerzenflammen blickte, sah er abermals das strahlende Gesicht der Frau in blendender, unerbittlicher Helligkeit.
Er war nicht entkommen. Zusammen mit dem unerträglichen Schmerz hatte er auch die Verzückung fortgeworfen. Nun blieb ihm nur noch seine leere Unschuld, die bittere Notwendigkeit, um jeden Preis seine Gelübde zu halten. Er stand zu seinem Wort, er würde sein Wort nicht brechen.
Und er würde sie nie mehr wiedersehen.
Cadfael kam, den Bauch voll gutem Wein und Essen, gerade rechtzeitig zur Komplet aus der Stadt zurück. Es war ein angenehmer Abend gewesen. Er bedauerte nur, daß er Aline und seinen Patensohn Giles in den nächsten drei oder vier Monaten nicht mehr sehen würde. Zum Winter würde Hugh sie zweifellos in das Stadthaus zurückbringen, und der dann fast dreijährige Junge wäre sicherlich wieder ein gutes Stück gewachsen. Nun, besser, sie verbrachten die warmen Monate droben im Norden in Maesbury, in gesünderer Luft als in den verstopften Straßen von Shrewsbury, wo Krankheiten leichter eindringen und mit größerer Kraft ihren Tribut fordern konnten.
Er durfte ihnen deshalb nicht grollen, aber vermissen würde er sie schon.
Er überquerte die Brücke in einem warmen, frühen Zwielicht, das gut zu seiner leichten, nicht unangenehmen Melancholie paßte, und erreichte die Stelle, an der die Bäume und Büsche am Wegrand zu den üppigen Uferwiesen der Gaye hin abfielen.
Dort unten waren die Hauptgärten der Abtei; rechts sah Cadfael den Mühlteich silbrig schimmern. Als er ins Torhaus trat, saß der Pförtner in der milden, lauen Luft auf der Türschwelle und ließ es sich in der Abendkühle gutgehen. Doch vergaß er dabei nicht seine Pflichten und den Auftrag, den man ihm gegeben hatte.
»Da seid Ihr endlich!« grüßte er behaglich, als Cadfael durch die offene Pforte trat. »Habt Ihr Euch wieder herumgetrieben!
Ich wünschte, ich hätte auch einen Patensohn in der Stadt.«
»Ich hatte die Erlaubnis«, erwiderte Cadfael selbstzufrieden.
»Es gab Gelegenheiten, bei denen Ihr das nicht unbedingt hättet behaupten können! Aber natürlich, ich weiß, daß Ihr die Erlaubnis hattet, und schließlich kommt Ihr rechtzeitig zur Andacht zurück. Nur daß Ihr nicht daran teilnehmen werdet – der Vater Abt erwartet Euch in seinem Sprechzimmer. ›Sobald er zurück ist‹, sagte er.«
»Das sagte er?« wiederholte Cadfael mit hochgezogenen Augenbrauen. »Eine seltsame Botschaft um diese Stunde. Ist etwas geschehen?«
»Nicht daß ich wüßte. Nichts Ungewöhnliches hat sich hier getan, alles ist so still, wie es sein sollte. Ich weiß nur, daß Ihr im Sprechzimmer erwartet werdet, Bruder Anselm übrigens auch«, fügte er gelassen hinzu. »Den Anlaß weiß ich nicht.
Geht lieber und seht selbst.«
Das hielt auch Cadfael für angebracht. Er überquerte rasch den großen Hof und ging zu den Gemächern des Abtes. Bruder Anselm, der Vorsänger, war schon dort. Er saß gemütlich auf einer geschnitzten Bank an der holzvertäfelten Wand.
Anscheinend war der Anlaß nicht sonderlich dramatisch, denn Abt und Untergebener waren mit Wein versorgt. Auch Cadfael wurde ein
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