Der Rosenmord
Becher gereicht, nachdem er sich zur Stelle gemeldet hatte. Anselm rückte auf der Bank zur Seite, um seinem Freund Platz zu machen. Der Vorsänger, der auch über die Bücherei wachte, war zehn Jahre jünger als Cadfael. Ein weltfremder, mitunter leicht zerstreuter Mann, solange es nicht um seine persönlichen Vorlieben ging, aufmerksam und feinsinnig jedoch in allem, was mit Büchern, Musik oder Musikinstrumenten zu tun hatte, und besonders bei dem schönsten aller Instrumente, der menschlichen Stimme. Die blauen Augen, die unter buschigen braunen Brauen und einem Kranz aus zottigem braunen Haar hervorlugten, wirkten etwas kurzsichtig, doch sie übersahen kaum etwas und hatten für die Vergehen fehlbarer menschlicher Wesen, besonders wenn diese jung waren, stets ein Zwinkern übrig.
»Ich habe Euch beide rufen lassen«, begann Radulfus, als die Tür geschlossen war und niemand sie belauschen konnte, »um eine Angelegenheit zu besprechen, die ich lieber nicht morgen im Kapitel zur Sprache bringen will. Noch einem außer uns ist die Angelegenheit bekannt, doch gilt für ihn das Beichtgeheimnis. Was hier drinnen besprochen wird, muß unter uns dreien bleiben. Ihr habt lange Erfahrungen mit den Fallgruben der Welt gesammelt, bevor Ihr ins Kloster kamt, und deshalb werdet Ihr meine Gründe verstehen. Glücklicherweise wart Ihr auch die Zeugen der Abtei beim Vertragsschluß mit der Witwe Perle, durch den wir das Haus in der Vorstadt bekamen.
Ich habe Anselm gebeten, aus dem Lehnsbuch eine Kopie des Vertrages mitzubringen.«
»Ich habe sie hier«, warf Bruder Anselm ein und faltete das Pergament auf seinem Knie auseinander.
»Gut! Dazu kommen wir gleich! Zunächst folgendes. Heute nachmittag kam Eluric zu mir, der Küster des Marienaltars, dessen Schmuck wir durch die Schenkung bezahlen können.
Es schien naheliegend, ihm die Aufgabe zu übertragen, der ehemaligen Besitzerin jedes Jahr die Rose als Miete zu bringen, doch nun bat er mich, von seiner Pflicht entbunden zu werden. Und zwar aus Gründen, die ich hätte voraussehen müssen. Man kann nicht leugnen, daß Frau Perle eine attraktive Frau ist, und Bruder Eluric ist unerfahren, jung und verletzlich. Er sagt, und ich bin sicher, daß es wahr ist, kein falsches Wort und kein zweideutiger Blick sei zwischen ihnen gewechselt worden, und er habe nie lüstern an sie gedacht.
Doch er wünscht von diesen Begegnungen entbunden zu werden, da er leidet und in Versuchung ist.«
Das war eine vorsichtige, zurückhaltende Beschreibung von Bruder Elurics Leiden, dachte Cadfael, doch glücklicherweise war die Katastrophe gerade noch rechtzeitig abgewendet worden. Es war klar, daß die Bitte des Jungen erfüllt worden war.
»Und Ihr habt ihm seinen Wunsch erfüllt«, erklärte Anselm, eher eine Tatsache formulierend als eine Frage stellend.
»Das habe ich. Es ist unsere Aufgabe, den Jungen zu zeigen, wie sie mit den Versuchungen der Welt und des Fleisches umgehen müssen, aber es ist gewiß nicht unsere Pflicht, sie vorsätzlich diesen Versuchungen auszusetzen. Ich mache mir selbst den Vorwurf, gedankenlos Eluric als Boten eingesetzt und die Folgen nicht vorausgesehen zu haben.
Eluric war völlig aufgelöst, aber ich glaube ihm, wenn er sagt, daß er nicht gesündigt habe, nicht einmal in Gedanken. So entband ich ihn von dieser Aufgabe. Ich wünsche nicht, daß die anderen Brüder etwas von seiner Qual erfahren. Die Sache ist, vorsichtig ausgedrückt, ohnehin schon sehr unangenehm für ihn, und so wollen wir wenigstens dafür sorgen, daß die Sache unter uns dreien bleibt. Er braucht nicht einmal zu erfahren, daß ich Euch ins Vertrauen gezogen habe.«
»Das soll er nicht«, bestätigte Cadfael sofort.
»Nun gut«, sagte Radulfus. »Nachdem ich ein fehlbares Kind aus dem Feuer gerettet habe, will ich gewiß nicht eine andere, ähnlich unerfahrene Seele dieser Gefahr aussetzen. Ich kann keinen anderen Jungen in Elurics Jahren berufen, um die Rose zu überbringen. Und wenn ich einen Älteren, etwa Euch, Cadfael, oder Anselm bemühe, dann wird sehr schnell bekannt werden, was dieser Wechsel zu bedeuten hat, und Bruder Elurics Kummer wird Anlaß zu Geschwätz und wilden Gerüchten geben. Kein Schweigegebot kann verhindern, daß Neuigkeiten fliegen wie Spreu im Wind. Nein, wir müssen den Wechsel aus guten, kanonischen Gründen vornehmen.
Deshalb habe ich um den Vertrag gebeten. Seinen Inhalt weiß ich zwar, doch ich erinnere mich nicht an den exakten Wortlaut.
Laßt uns
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