Der Rosenmord
im Halbschlaf; nur ein paar Dörfler und Arbeiter waren auf, gingen ihren Geschäften nach und grüßten ihn im Vorbeigehen.
Die Mönche waren noch nicht zur Prim in der Kirche, denn im großen Gebäude war es still, als Niall vorbeikam. Er hörte das Weckläuten im Dormitorium.
Die Hauptstraße war schon wieder völlig trocken, nur der Boden der Gärten war noch feucht und dunkel und versprach kräftiges Wachstum.
Er erreichte das Tor seines eingefriedeten Hauses, trat in den Hof, öffnete die Tür seines Ladens und bereitete sich auf sein Tagewerk vor. Judiths Gürtel lag zusammengerollt im Regal. Er versagte es sich, ihn noch einmal herunterzunehmen, um ihn zu streicheln, denn er hatte kein Recht auf die Frau, würde es nie haben. Aber wenigstens durfte er sie an diesem Tag noch einmal sehen und noch einmal ihre Stimme hören, und in fünf Tagen gleich noch einmal, und sogar in ihrem eigenen Haus.
Vielleicht würden sich sogar ihre Hände berühren, wenn er die Rose übergab. Er würde die Blüte sorgfältig auswählen und auf die Dornen achtgeben, damit Judith nicht gestochen wurde, nachdem ihr kurzes Leben bereits so dornenreich gewesen war.
Dieser Gedanke trieb ihn in den Garten hinaus, der vom Hof aus durch eine Pforte in der Mauer zu erreichen war. Nach der nächtlichen Kühle, die sich im Haus gehalten hatte, umfing ihn das helle Sonnenlicht in der Tür wie ein warmes Tuch. Tropfen glitzerten im Blattwerk der Obstbäume und im Blumenbeet. Er stieg über die Schwelle und blieb wie vor den Kopf geschlagen stehen.
Der weiße Rosenbusch an der Nordmauer war zusammengesunken, die dornigen Arme vom Stein gerissen, der dicke Stamm der Länge nach gespalten, so daß ein Drittel des Busches kraftlos aufs Gras herabhing. Darunter war die Gartenerde aufgewühlt, als hätten dort Hunde gekämpft, und neben diesem Schlachtfeld lag ein regloses, dunkelbraunes Bündel im Gras. Niall machte drei hastige Schritte, dann sah er eine bleiche, nackte Ferse aus dem Haufen herausragen, einen ausgestreckten Arm im weiten schwarzen Ärmel, eine krampfhaft in die Erde gekrallte Hand und den bleichen Kreis einer Tonsur, grellweiß in all der Schwärze. Ein Mönch aus Shrewsbury, jung und schlank, beinahe mehr Kutte als Körper.
Was, in Gottes Namen, hatte er, ob tot oder verletzt, unter dem zerstörten Baum zu suchen?
Niall ging näher und kniete sich neben ihn, zuerst viel zu erschrocken, um etwas zu berühren. Und dann sah er das Messer dicht neben der ausgestreckten Hand liegen, die Klinge von trockenem Blut besudelt. Der Boden unter dem Körper war aufgeweicht von einer dicken, dunklen Feuchtigkeit, die kein Regenwasser war. Der Unterarm, der aus dem breiten schwarzen Ärmel ragte, war glatt und schlank. Es war ein sehr junger Mann. Endlich streckte Niall eine Hand aus, um ihn zu berühren. Das Fleisch war kühl, aber noch nicht kalt. Trotzdem erkannte Niall sofort, daß der Mann tot war. Vorsichtig und ängstlich schob er eine Hand unter den Kopf und drehte das schmutzige, junge Gesicht Bruder Elurics ins Morgenlicht.
4. Kapitel
Bruder Jerome, der aufmerksam das Verhalten der Brüder, ob jung oder alt, ob ihm unterstellt oder nicht, zu kontrollieren pflegte, hatte die Stille in einer Zelle des Dormitoriums bemerkt.
In allen anderen regten sich die Brüder und standen pflichtschuldigst zur Prim auf. Da es in dieser einen aber still blieb, sah er mit einer gewissen Überraschung nach, denn Bruder Eluric galt gewöhnlich als Vorbild an Tugendhaftigkeit.
Aber selbst die Tugendhaftesten können dann und wann straucheln, und Bruder Jerome hatte nur selten Gelegenheit, einem so beispielhaften Bruder Vorwürfe zu machen. Diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen. Allerdings war Jeromes Eifer verschwendet, die vorwurfsvollen, frommen Worte blieben unausgesprochen. Die Zelle war leer, die Liege ordentlich gemacht, das Brevier offen auf dem kleinen Tisch.
Bruder Eluric war sicher schon vor den anderen aufgestanden und kniete bereits irgendwo in der Kirche, um einige zusätzliche Gebete zu sprechen. Jerome fühlte sich betrogen und fauchte jeden, der etwa noch schlaftrunkene Augen hatte oder gähnend zur Nachttreppe kam, mit mehr als der üblichen Bissigkeit an.
Es behagte ihm nicht, wenn jemand seine Hingabe übertraf, und es behagte ihm nicht, wenn jemand dieselbe missen ließ.
Auf die eine oder andere Weise würde Eluric für diese Schlappe zahlen.
Als sie alle auf ihren Plätzen im Chorgestühl saßen und
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