Der Rosenmord
solltest, sie zu verlassen. Einmal hast du ja schon selbst davon gesprochen. Oh, überlege es dir gut, übereile es nicht. Aber wenn es dazu kommen sollte, dann kann dich nichts zurückhalten.«
»Nein, nichts!« Manchmal erschien Judith die Welt wie eine lästige Zeitverschwendung, die sie gern entbehren konnte. Und in ein oder zwei Tagen, vielleicht schon morgen, würde Schwester Magdalena aus Godric’s Ford kommen, aus der Klause der Abtei von Polesworth, um Bruder Edmunds Nichte als Postulantin zu holen. Gut möglich, daß sie sogar zwei angehende Novizinnen mitnahm.
Judith war bei den Frauen im Spinnraum, als Schwester Magdalena am folgenden Nachmittag eintraf. Als geschwisterlose Erbin eines Tuchmachergeschäfts hatte Judith alle Arbeiten gelernt, die zu diesem Handwerk gehörten, vom Aufrauhen über das Kämmen bis zum Weben und zum letztendlichen Zuschnitt der Kleider.
Jetzt am Spinnrocken stellte sie aber fest, daß sie etwas aus der Übung gekommen war. Die Wolle war rostrot. Die Färbemittel wechselten mit den Jahreszeiten, und die vorjährige Ernte an Färberwaid für die Blautöne war im April oder Mai gewöhnlich aufgebraucht. Darauf folgten rote, braune und gelbe Farbtöne, die Godfrey Füller aus Flechten und Krapp herstellte.
Der Mann verstand sein Handwerk. Die Tuchstücke, die er später zum Walken zurückbekommen würde, hatten eine saubere, kräftige Farbe und würden einen guten Preis erzielen.
Miles unterbrach sie bei der Arbeit. »Du hast Besuch«, erklärte er, während er über Judiths Schulter langte und anerkennend einen Wollstrang vom Spinnrocken zwischen Daumen und Zeigefinger rieb. »Eine Nonne aus Godric’s Ford wartet in deinem Kontor auf dich. Man hätte ihr in der Abtei gesagt, daß du sie sprechen willst. Du spielst doch nicht etwa immer noch mit dem Gedanken, diese Welt zu verlassen? Ich dachte, dieser Unfug wäre erledigt.«
»Ich habe Bruder Cadfael gesagt, daß ich sie gern sprechen würde«, erwiderte Judith, indem sie die Spindel anhielt. »Nicht mehr und nicht weniger. Sie ist gekommen, um eine Novizin abzuholen – die Nichte des Krankenwärters.«
»Dann sei ja nicht so dumm, ihr noch eine zweite zu geben.
Ich kenne dich und deine Narrheiten«, sagte er leichthin und klopfte ihr liebevoll auf die Schulter. »Zum Beispiel, daß du das schönste Haus in der ganzen Vorstadt für eine Rose im Jahr fortgegeben hast. Willst du dem Ganzen noch die Krone aufsetzen, indem du auch dich selbst fortgibst?«
Er war zwei Jahre älter als seine Cousine und spielte gern den erfahrenen, weisen Ratgeber, wenn auch mit einem Humor, der seine Überheblichkeit etwas milderte. Ein ansehnlicher junger Mann war er, nicht allzu groß, aber kräftig und geschmeidig und im Ringen und im Scheibenschießen in den Flußauen genauso geschickt wie in der Leitung des Tuchmachergeschäfts. Er hatte die blauen, wachsamen Augen und das hellbraune Haar seiner Mutter, doch war er zielstrebiger als sie. Was bei der Mutter nur vage oder oberflächlich schien, war beim Sohn klar und eindeutig. Judith hatte allen Grund, ihm dankbar zu sein, denn sie konnte sich in allen geschäftlichen Belangen auf seine Vernunft voll verlassen.
»Ich werde tun, was mir selbst am besten scheint«, sagte sie, indem sie die Spindel mit dem aufgerollten roten Garn fortlegte.
»Wenn ich nur wüßte, was dieses Beste ist! Um ehrlich zu sein, ich tappe völlig im dunkeln. Ich habe auch nur gesagt, daß ich gern mit ihr reden möchte. Und das werde ich tun. Ich mag Schwester Magdalena.«
»Ich auch«, stimmte Miles sofort zu. »Aber dich würde ich ihr trotzdem nicht gönnen. Dieses Haus ist ohne dich verloren.«
»Dummkopf!« erwiderte Judith scharf. »Du weißt ganz genau, daß es ohne mich ebensogut bestehen könnte. Du bist es doch, der hier alles zusammenhält.«
Auch wenn er es abstritt, sie wollte nichts davon hören und bekräftigte ihre Behauptung mit einem freundlichen Lächeln und einer leichten Berührung seines Arms, als sie an ihm vorbeiging, um sich ihrem Gast zu widmen. Miles, der von einer bisweilen rücksichtslosen Aufrichtigkeit war, wußte genau, daß sie die reine Wahrheit gesagt hatte. Er konnte das Geschäft mühelos auch ohne ihre Hilfe führen. An ihr aber nagte dieser Gedanke. Sie war entbehrlich, eine Frau, die in dieser Welt keine Aufgabe mehr hatte. Möglich, daß sie in einer anderen Welt nützlicher wäre. Gerade weil er dagegen gesprochen und sie an den Zwiespalt in ihrem Herzen wieder
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