Der Rosenmord
die jetzt die Runde machen. Bringt Eure Cousine nur nach Hause und laßt sie ruhen. Sie wird Ruhe brauchen können.« Er nahm den Wachsabdruck von der Türschwelle. Der junge Mann sah neugierig zu, wie Cadfael ihn vorsichtig in seinen Ranzen steckte, damit er nicht beschädigt wurde.
»Ja, wirklich!« stimmte Miles zu, jungenhaft errötend, als er sich an seine Pflicht erinnerte. »Und vielen Dank, Bruder, für Eure Güte.«
Cadfael folgte ihnen in die Werkstatt. Niall war an seinem Arbeitstisch, doch er stand auf, um sich von ihnen zu verabschieden. Ein bescheidener Mann, der die Feinfühligkeit besaß, sich zurückzuziehen, sobald er spürte, daß zwischen Tröster und Trostsuchender etwas Vertrauliches besprochen wurde. Judith schenkte ihm einen ernsten Blick und brachte aus einem tiefen Zorn unberührter Unschuld ein bleiches, aber liebenswürdiges Lächeln hervor. »Meister Niall, es tut mir leid, daß wir Euch solche Sorgen und Aufregung beschert haben.
Ich danke Euch für Eure Güte. Ich habe etwas abzuholen und Euren Lohn zu bezahlen – habt Ihr das vergessen?«
»Nein«, erwiderte Niall. »Ich hätte Euch den Gürtel schon in einem günstigen Augenblick gebracht.« Er drehte sich zum Regal um und zog ihren zusammengerollten Gürtel hervor. Sie bezahlte anstandslos den verlangten Preis, dann rollte sie den Gürtel auf und betrachtete lange die neue Schnalle, das geflickte Geschenk ihres toten Gatten. Und jetzt zeigte sich in ihren Augen ein feuchter Schimmer, wenn sie auch keine Tränen vergoß.
»Dies ist ein sehr guter Augenblick«, erklärte sie und sah Niall ins Gesicht, »für ein kleines, kostbares Ding, das mir ein wenig ungetrübte Freude schenkt.«
Das war die einzige Freude, die sie an diesem Tag hatte, und selbst die wurde von einem leichten, stechenden Schmerz begleitet. Agathas nervöses, wortreiches Getue und Miles’ vorsichtige, aber dennoch aufdringliche Aufmerksamkeit wurden ihr zur Last. Sie hatte ständig das tote Gesicht Bruder Elurics vor Augen. Wie hatte sie nur seine Pein übersehen können? Dreimal hatte sie ihn empfangen, sich von ihm verabschiedet und nichts weiter bemerkt als ein leichtes Mitgefühl für sein Unbehagen, das man mit bloßer Schüchternheit hätte erklären können. Sie war überzeugt gewesen, daß sie einen nicht allzu glücklichen jungen Mann vor sich hatte, dem sie höchstens eine echte Berufung absprechen konnte, da er seit seiner Kindheit im Kloster gelebt hatte. Sie war so sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt gewesen, daß sie den seinen nicht bemerkt hatte. Selbst im Tod hatte er ihr keine Vorwürfe gemacht. Das war auch nicht nötig. Die Vorwürfe machte sie sich selbst.
Sie hätte Ablenkung suchen und wenigstens ihre Hände beschäftigen können, aber sie war nicht imstande, sich zu den verängstigt flüsternden Mädchen im Spinnraum zu setzen. So blieb sie lieber im Geschäft, wo die Neugierigen, wenn sie schon gaffen und Kommentare abgeben mußten, wenigstens einer nach dem anderen kamen, und es mochten sogar einige darunter sein, die tatsächlich Tuch kaufen wollten und noch nicht einmal die Neuigkeiten gehört hatten, die wie Distelsamen durch die Gassen von Shrewsbury flogen und ebenso rasch Wurzeln schlugen.
Aber auch das war schwer zu ertragen. Sie freute sich auf den Abend, wenn sie die Läden schließen konnte, aber ausgerechnet der letzte Kunde, der ein Stück Tuch für seine Mutter abholen wollte, trödelte lange herum. Er tuschelte unter vier Au gen mit Judith, soweit dies möglich war, denn Agatha kramte im Laden herum wie eine wachsame Glucke und mochte ihre Nichte nicht einmal für Minuten allein lassen. Diese kurzen Freiräume aber wußte Vivian Hynde zu seinem Vorteil zu nutzen.
Er war der einzige Sohn des alten William Hynde, der im westlichen Hochland der Grafschaft große Schafherden besaß, aber seit vielen Jahren regelmäßig die weniger gute Wolle an die Vestiers verkaufte, während die besten Vliese einem Mittelsmann vorbehalten blieben, der sie nach Nordfrankreich und zu den Wollmärkten in Flandern brachte. Sein Lagerhaus und sein Verladekai lagen ein Stück stromabwärts hinter Godfrey Füllers Werkstatt. Die geschäftliche Partnerschaft zwischen den beiden Familien ging zwei Generationen zurück und gab diesem jungen Gecken, der sich angeblich mit seinem Vater überworfen hatte, einen guten Vorwand, die Nähe der Tuchhändlerin zu suchen. Es war unwahrscheinlich, daß auch er einen erfolgreichen Wollhändler
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