Der Rosenmord
ab, schien sich das Schlimmste auszumalen und hatte sichtlich Mühe, die Gedanken zurückzuweisen.
»Ich habe sie vergessen«, gab Cadfael zu. Die Kleider, die man Bertred ausgezogen hatte, hatte er noch nicht untersucht.
»Wartet, ich bringe sie.«
Seine Sachen lagen so ordentlich zusammengefaltet, wie es die Eile und die Nässe erlaubt hatten, in einer Ecke. Inzwischen waren sie fast trocken. Cadfael nahm das Bündel auf den Arm und ergriff mit der anderen Hand die Stiefel, die daneben standen. Er trug die Sachen in den Hof zu Miles, der gerade die Decke über Bertreds Füße zog. Der junge Mann wandte sich um und nahm Cadfael das Bündel ab. Als er sich vorbeugte, um die Kleidung unter der Decke zu verstauen, kippte der Wagen etwas, und die Stiefel, die aufrecht gestanden hatten, fielen auf das Pflaster.
Cadfael bückte sich, um sie aufzuheben und zurückzustellen.
Erst jetzt betrachtete er sie im hellen, klaren Tageslicht von nahem. Er hielt mitten in der Bewegung inne, in jeder Hand einen Stiefel, und drehte langsam den linken herum, um die Sohle zu betrachten. So lange starrte er ihn an, daß Miles ihn offenen Mundes verwundert beobachtete, den Kopf auf die Seite gelegt wie ein verwirrter Hund, der die Fährte verloren hat.
»Ich glaube«, sagte Cadfael langsam, »ich muß den Abt um Erlaubnis bitten, Euch in die Stadt zu begleiten. Ich muß noch einmal mit dem Sheriff sprechen.«
Es war nur ein kurzer Gang von der Burg zum Haus in der Maerdol-Straße. Der Junge, der eilig ausgeschickt worden war, um Hugh zu suchen, kehrte nach einer Viertelstunde mit ihm zurück. Bei anderen wichtigen Dingen gestört, fluchte Hugh verhalten, doch seine Neugierde war erwacht, denn für nichts und wieder nichts hätte Cadfael nicht so bald schon wieder nach ihm geschickt.
In der Halle lamentierte Frau Agatha mit der in Tränen aufgelösten Branwen wortreich über die Serie von Katastrophen, die das Haus der Vestiers heimgesucht hatte.
Die beraubte Alison weinte in der Küche bitterlich über den Verlust ihres Sohnes, und die Spinnerinnen begleiteten im Chor ihren Klagegesang. Im Webschuppen aber, wo Bertreds Leiche aufgebahrt auf Martin Bellecote, den Meistertischler aus der Wyle, wartete, herrschte eine bedrückende Stille, obwohl sich dort drei Männer mit sparsamen, leisen Worten unterhielten.
»Es gibt keinen Zweifel«, erklärte Cadfael, indem er die Stiefelsohle ins Licht einer kleinen Lampe hielt, die ein Mädchen ans Kopfende des Tisches gestellt hatte. Draußen war das Licht fast noch so hell wie am Nachmittag, aber da an den Webstühlen nicht gearbeitet wurde, waren die Läden des Schuppens halb geschlossen. »Dies ist der Stiefel, dessen Abdruck ich unter Nialls Weinstock vom Boden nahm. Der Mann, der ihn trug, ist auch der Mann, der versuchte, den Rosenstrauch umzuhacken. Und es ist der Mann, der Bruder Eluric tötete. Ich nahm den Abdruck selbst, und ich weiß, daß ich mich nicht irre. Hier ist er, ich habe ihn mitgebracht. Wie Ihr seht, stimmt er mit dem Stiefel überein.«
»Wenn Ihr es sagt, wird es stimmen«, erklärte Hugh. Aber als Mann, der jedes Beweisstück selbst überprüfen mußte, nahm er Stiefel und Wachsabdruck, ging zur Tür und hielt die beiden nebeneinander.
»Kein Zweifel.« Sie stimmten überein wie Siegel und Prägestempel. Am Außenrand und am großen Zeh war die Sohle abgetreten, und auch der Riß, der sich quer über die Sohle zog, war da. »Anscheinend«, sagte Hugh schließlich, »hat uns der Severn die Kosten für ein Gerichtsverfahren erspart und ihm ein schlimmeres Schicksal als das Ertrinken.«
Miles hatte sich etwas abseits gehalten und sah mit dem gleichen verwunderten Gesicht, mit dem er schon Bertreds Leiche in der Friedhofskapelle betrachtet hatte, von einem zum andern. »Ich verstehe es nicht«, sagte er schließlich zweifelnd.
»Wollt Ihr damit sagen, daß Bertred in den Garten des Schmieds eingedrungen sei, um Judiths Rosenstrauch zu zerstören? Und daß er dabei einen Mord …« Wieder ein heftiges Kopfschütteln, als versuchte er, die unwillkommene Wahrheit abzustreifen, gleich einem Bullen, der einen Hund loszuwerden sucht, der ihn an der weichen Nase gepackt hat.
Es gelang ihm nicht. Allmählich machte sich die Gewißheit breit, er ergab sich resigniert und zeigte sogar einen Funken Interesse. Miles hatte ein sehr beredtes Gesicht; Cadfael konnte jede Veränderung seiner Stimmung ablesen.
»Warum hat er das nur getan?« sagte er schließlich langsam.
Aber
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