Der Rosenmord
Mylord. Der Händler schickt aus Worcester immer einen Boten voraus. Die Vliese werden auf dem Wasserweg nach Bristol befördert, dann über Land bis Southampton, wo sie abermals verschifft werden.
Damit wird der Weg verkürzt. Die Schiffsreise um den ganzen Südwesten soll ja sehr ungemütlich sein.« Während er redete, löste er zwei große Vorhängeschlösser vom Balken vor den Türen des Lagerhauses und zog die Türflügel auf, um das Licht auf den saubergefegten, etwas erhöhten Bretterboden fallen zu lassen, auf dem die minderwertigen Vliesen gestapelt wurden.
Diese Ebene war jetzt leer. Links hinter der Tür führte eine Holzleiter durch eine breite offene Luke in das Stockwerk darüber.
»Ihr seid über die Geschäfte Eures Herrn gut im Bilde, Gunnar«, bemerkte Hugh freundlich, während er über die Schwelle trat.
»Er vertraut mir. Einmal, als ein Mann verletzt war und ein Helfer gebraucht wurde, begleitete ich den Kahn sogar nach Bristol. Wollen wir hinaufsteigen, Sir? Soll ich Euch führen?«
Ein sehr selbstsicherer und wortgewandter Mann, dieser Gunnar, dachte Cadfael. Der Inbegriff eines klugen, vertrauenswürdigen Dieners in einem Handelshaus, den man auch auf Reisen schicken konnte und der aus jeder Erfahrung lernte. Statur, Betragen und Hautfarbe verrieten seine nördlichen Ahnen. Die Dänen waren in dieser Grafschaft nur bis Brigge gekommen, aber sie hatten einige Sprößlinge zurückgelassen. Cadfael folgte Hugh und Gunnar ohne große Eile die Leiter hinauf und trat in das obere Stockwerk. Hier war es düster, nur ein schwacher Widerschein des Lichtes aus den weiten Türen drang herauf, aber es war hell genug, um die gestapelten Ballen zu erkennen, die den ganzen Lagerraum ausfüllten.
»Wir könnten etwas Licht brauchen«, sagte Hugh.
»Wartet, Mylord, ich öffne die Tür.« Ohne ein weiteres Wort packte Gunnar einen Ballen und zerrte ihn beiseite, und nachdem einige weitere verschoben waren, hatte er die kräftigen Holzplanken einer schmalen Tür freigelegt. Unter leisem Klimpern suchte er am Schlüsselbund den richtigen Schlüssel aus und steckte ihn ins Schloß. Zusätzlich waren zwei Eisenriegel über die Tür gelegt, die rostig knirschten, als er sie aus den Halterungen zog. Der Schlüssel quietschte, als er ihn drehte. »Wir haben die Kammer schon lange nicht mehr benützt«, erklärte Gunnar munter. »Es kann sicher nicht schaden, etwas Luft hereinzulassen.«
Die Tür ging nach innen auf. Er stieß sie weit auf, ging zur verschlossenen Luke hinüber und öffnete sie unter lautem Klappern von Riegeln und Balken. Er schob sie auf, bis das Sonnenlicht schräg hereinfiel. »Es ist staubig hier, Mylord«, warnte er hilfsbereit und trat zurück, damit sie den kleinen Raum untersuchen konnten. Eine Bö wehte herein und ließ die Spinnweben am groben Holz der Luke flattern.
Ein kleiner, öder Raum, eine alte Bank an der Wand, ein Haufen aus weggeworfenen Pergamentfetzen, Tuchstücken, Wollresten, Holz und unkenntlichem Schutt in einer Ecke, ein großer Krug mit abgebrochenem Rand, ein schiefer alter Schreibtisch. Alles von Staub bedeckt, nachdem die Kammer versiegelt, vergessen und seit zwei Jahren nicht mehr benutzt worden war.
»Einmal ist ein Dieb hier hereingekommen«, berichtete Gunnar eifrig. »Das darf kein zweites Mal geschehen. Ich muß alles wieder sichern, bevor wir hinausgehen, denn mein Herr würde mir den Kopf abreißen, wenn ich auch nur vergesse, einen Riegel vorzulegen oder ein Schloß nicht zu verschließen.«
»Erst letzte Nacht wollte ein Dieb auf diesem Weg eindringen«, sagte Hugh beiläufig. »Wißt Ihr das noch nicht?«
Gunnar drehte sich um und starrte ihn erstaunt an. »Ein Dieb? Letzte Nacht? Kein Wort habe ich davon gehört, und auch die Herrin weiß nichts davon. Wer sagt das?«
»Der Wächter unten kann es Euch erzählen. Es war ein gewisser Bertred, ein Weber, der für Frau Perle arbeitete.
Betrachtet nur den Balken vor der Luke, Gunnar. Ihr könnt sehen, daß er unter dem Gewicht des Diebes nachgegeben hat. Der Hund jagte ihn in den Fluß«, erklärte Hugh gleichmütig, während er sich nachdenklich im so lange verlassenen Raum umsah. Aus den Augenwinkeln beobachtete er dabei Gunnars Gesicht. »Dabei ist er ertrunken.«
Es folgte ein kurzes, aber tiefes Schweigen. Gunnar stand stocksteif und starrte ins Leere. Seine Leichtigkeit war bleierner Schwere gewichen.
»Habt Ihr denn nichts davon gehört?« fragte Hugh verwundert, den Blick auf den staubigen
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