Der Rosenmord
hatte keine Zeit mehr, sie wieder aufzuheben, denn hätte er noch einen Augenblick gezögert, dann hätten wir ihn erwischt. Sie beweisen jedenfalls, daß er einbrechen und stehlen wollte. Das Beste ist aber«, erklärte der Wächter, während er über die Dummheit der allzu Klugen den Kopf schüttelte, »daß er gar nicht an die Vliese herangekommen wäre, wenn er durch die Luke eingedrungen wäre.«
»Nein?« fragte Hugh scharf und sah den Mann aufmerksam an. »Warum denn nicht? Was hätte ihn daran hindern sollen?«
»Da drin gibt es noch eine zweite versperrte Tür, die ihn von den Vliesen abgehalten hätte. Das könnt Ihr natürlich nicht wissen. William Hyndes Schreiber hat früher in dem kleinen Raum da oben gearbeitet. Er wurde als Kontor benutzt, bis Diebe auf diesem Wege eindrangen. Inzwischen kauft der Wollhändler hier auch für das Ausland ein, und der alte Hynde hielt es für besser, den Händler im Haupthaus zu empfangen.
So wurde das Kontor nicht mehr gebraucht. Er ließ die Tür versperren und verrammeln und eine zusätzliche Barriere wegen der Diebe anbringen. Es hätte diesem Dieb hier nichts genützt, wenn er eingedrungen wäre.«
Hugh sah sich um und dachte nach, nagte zweifelnd an der Unterlippe. »Dieser Dieb, mein Freund, war selbst im Wollgeschäft und kannte den Schuppen sehr genau. Er hat die Vliese für die Vestiers hier abgeholt, er war mehr als einmal im Lager. Natürlich hat er vom Kontor gewußt. Mein Stellvertreter ließ das Lager erst vor zwei Tagen öffnen und sah, daß der obere Boden bis fast zur Leiter mit Vliesen gefüllt war. Wenn es dort eine Tür gibt, dann war sie hinter der Wolle versteckt.«
»So war es, Mylord. Warum auch nicht? Ich glaube, seit die Tür versperrt wurde, war keine Menschenseele mehr dort hinten. Da gibt es nichts Interessantes.«
Nicht mehr, dachte Cadfael. Aber war gestern jemand dort?
Bertred hatte es anscheinend vermutet, auch wenn er sich vielleicht geirrt hatte. Er hatte den unbenutzten Raum gekannt, er konnte es für der Mühe wert gehalten haben, auch ohne konkreten Verdacht nachzusehen. Er hatte einen hohen Preis dafür bezahlt. All die Träume, sein Los durch eine galante Rettungstat zu verbessern, die Dankbarkeit einer Frau über die Maßen zu beanspruchen und seine eigene Stellung Schritt um Schritt einschmeichelnd und vorsichtig zu verbessern, alles war dahin, fortgespült von den Wirbeln des Severn. Hatte er wirklich etwas gewußt, das keiner der anderen Sucher wußte, oder hatte er diesen versteckten Raum nur als Möglichkeit betrachtet?
»Will«, sagte Hugh, »schickt einen Mann zu Hyndes Haus und bittet ihn oder seinen Sohn, mit den Schlüsseln herzukommen. Mit allen Schlüsseln. Es ist Zeit, daß ich selbst nachsehe. Das hätte ich schon früher tun sollen.«
Doch es war weder William Hynde noch sein Sohn Vivian, der nach zehn oder fünfzehn Minuten mit den Soldaten die Wiese heruntergelaufen kam. Es war ein Diener in selbstgewebtem Tuch und Leder, ein großer, muskulöser Bursche mit kühnem Gesicht von etwa dreißig Jahren. Er hatte einen kurz geschnittenen Bart, der einen breiten Mund und ein kräftiges Kinn umrahmte und ihm die überhebliche Eleganz eines normannischen Adligen gab, wenn er auch dem Körperbau und seinem rötlichen Haar nach eher ein Angelsachse war. Er grüßte Hugh flüchtig und richtete sich sofort wieder auf, um ihm in die Augen zu sehen wie ein Gleichgestellter. Eisige helle Augen hatte er, in denen nur eine winzige Spur von Blau zu entdecken war.
»Mylord, meine Herrin schickt Euch die Schlüssel. Ich stehe Euch zu Diensten.« Er hatte einen großen Schlüsselbund in der Hand. Seine Stimme klang laut und etwas barsch, doch er war höflich. »Mein Herr ist schon seit gestern draußen bei seinen Schafen in Forton, und der junge Herr ist ihm heute gefolgt, um ihm zu helfen. Wenn Ihr ihn braucht, kann er morgen zurück sein. Einstweilen dürft Ihr nach Belieben über mich verfügen.«
»Ich habe Euch schon in der Stadt gesehen«, erwiderte Hugh, während er ihn mäßig interessiert musterte. »Ihr steht also in Hyndes Diensten? Wie ist Euer Name?«
»Gunnar, Mylord.«
»Und er vertraut Euch die Schlüssel an. Nun, Gunnar, dann öffnet uns die Türen. Ich will sehen, was dort drin ist.« Und als der Mann gehorchte und sich bereitwillig umdrehte, fragte er:
»Wann wird denn der Frachtkahn erwartet, wenn Herr Hynde die Zeit hat, persönlich zu seinen Herden zu gehen?«
»Noch vor dem Ende des Monats,
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