Der rostende Ruhm
Bergh bei ihr gesucht hatte. »Zwar sagt man, Bier mache dick – aber irgendwie muß ich dagegen resistent sein. Trinken Sie auch gern Bier?«
»Ab und zu.« Er nahm ihr das Glas, an dessen Seiten der Schaum herunterlief, ab und stellte es auf seine Handfläche, um die Tischdecke nicht naß zu machen. »Als Studiker habe ich Stiefel konsumiert …«
»Ist das nicht komisch?!« Gabriele Orth setzte sich neben Bergh auf das Sofa. Es stöhnte auf, und eine aus der Bindung gerissene Feder schnellte zwischen ihnen hoch und drückte den Bezugstoff empor. Wie eine Grenze wirkte sie, wie der Ansatz einer Mauer, die sie beide trennte.
»Der große Arzt und die kleine Journalistin trinken um« – sie sah auf ihre Armbanduhr – »um zweiundzwanzig Uhr siebzehn eine Flasche Pilsner Bier. Das ist so absurd, daß es keiner glauben würde, wenn man es erzählt. Und wenn man es in einem Roman schreiben würde, sähe man es als eine riesige Schnulze an.«
Professor Bergh trank das kalte Bier mit langen Schlucken. Als er das Glas absetzte, war es zu dreiviertel leer. Mit dem Handrücken wischte er den an den Lippen klebenden Schaum ab, und diese Bewegung paßte so gar nicht zu seinem Aussehen, seiner Gloriole, die ihn umgab, und dem Bild, das man sich von einem Mann seines Rahmens machte. Aber gerade diese Handbewegung war ein Ausdruck seines Wohlbefindens, seiner Losgelöstheit vom Alltag und vom starren Panzer erwarteter Autorität. Und er war so zufrieden, wie selten in der letzten Zeit.
Nach über zwei Stunden verließ Professor Bergh das Haus Gerhardus-Gasse hundertvierundneunzig. Der Hausmeister sah es durch sein Flurfenster, aber er rührte sich nicht. Er hatte sich einen Liter Gumpoldskirchner geholt, saß am Radio und trank ihn unter der Begleitung eines Straußschen Walzers.
Aus ihrem Fenster, im Dunkeln stehend, sah Gabriele Orth der schlanken, großen Gestalt Professor Berghs nach, bis die Dunkelheit sie aufsaugte.
Sie wußte auch jetzt noch nicht, was der Besuch zu bedeuten hatte. »Es wäre schön, wenn ich Sie am kommenden Sonntag wiedersehen könnte«, hatte Professor Bergh beim Abschied gesagt. »In Baden ist ein Galopprennen. Interessieren Sie sich für Pferderennen?«
»Das Interessanteste daran ist für mich die Beobachtung der großen Gesellschaft«, hatte sie darauf geantwortet. »Das gibt immer einen guten sozialkritischen Artikel ab.«
»Dann kommen Sie mit mir am Sonntag hinaus zur Rennbahn und verbinden das Angenehme mit dem Nützlichen.«
Sie hatte zugesagt, und Professor Bergh war gegangen.
Noch lange lag sie wach und starrte an die Decke ihres Schlafzimmers. Sie schob die Schuld dem Versagen der Schlaftabletten zu und kam nicht auf den Gedanken, daß sie sich damit selbst belog …
In der Klinik war Operationstag.
Dr. Thoma machte eine Cholezystektomie. Er operierte im OP II. Oberarzt Dr. Werth hatte ihn dorthin verwiesen, damit er nicht mit Professor Bergh in Berührung kam, der im OP I ein Mammakarzinom übernommen hatte.
Seit dem Vorfall mit der Knochenlues waren sich Chefarzt und Assistent nicht mehr begegnet. Das Bindeglied war Dr. Werth, der eingehend über die Tätigkeit Dr. Thomas berichtete und die Krankengeschichten und Operationsberichte vorlegte. Er tat dies geschäftsmäßig wie immer, so, als sei der innere Rhythmus der Klinik nicht im geringsten gestört.
»Bereiten Sie alles für elf Uhr vor«, sagte Dr. Bergh nach dem Studium der Röntgenplatten, »daß ich mit der Exstirpation sofort beginnen kann.«
Damit war der Oberarzt entlassen. Er verbeugte sich knapp und verließ das Chefzimmer. Professor Bergh sah auf die Uhr. Neun Uhr siebenundzwanzig. Noch ein und eine halbe Stunde. Einer plötzlichen Aufwallung folgend, drückte er auf die Taste des Haussprechapparates und verlangte den OP I. Schwester Cäcilia, die in der großen Steriltrommel die Instrumente auskochte, war selbst am Mikrofon.
»Bei der Exstirpatio mammae bitte ich Dr. Thoma zum Anästhesieren!« sagte Bergh.
»Herr Dr. Thoma?« fragte Schwester Cäcilia gedehnt.
»Kommt Ihnen das komisch vor?« Berghs Stimme war schneidend. »Geben Sie sofort die Benachrichtigung zum OP II durch.«
Er hatte gerade die Taste wieder hinaufgedrückt, als es klopfte. Auf sein »Herein« öffnete sich die Tür, und Herbert Wortischek betrat das Zimmer.
Er hatte keinen weißen Kittel mehr an, sondern trug einen hellen Frühlingsanzug mit einem offenen Hemdkragen. Sein Gesicht war wie immer verschlossen, kantig, fast
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