Der rostende Ruhm
Briefe sind in verschiedenen Städten aufgegeben. Mit einem schnellen Wagen kann man das an einem Tag schaffen. Hier – hier – ›Professor Bergh hat gar nicht die Qualifikation zum Chirurgen. Er ist seit fünfzehn Jahren aus der Großen Chirurgie heraus und benimmt sich heute wie ein junger Famulus am Operationstisch …‹«
»Toll, was?« Sporenka rieb sich wieder die Hände. »Wenn das morgen in unserer Zeitung steht, werden in Wien einige hundert Kaffeetassen kalt.«
»Es wird nicht in der Zeitung stehen!« rief Gabriele Orth.
»Aber doch! Doch! Auf der ersten Seite. Überschrift – ich habe sie schon, sie flog mir förmlich zu: ›Hippokrates-Preisträger ein mittelmäßiger Chirurg?‹«
»Das wird nicht gedruckt werden!« schrie Gabriele wild. »Das ist ein Verbrechen, das Sie begehen!«
»Ein guter Journalist muß für seine Zeitung auch so etwas tun! Früher hatte jedes Blatt seinen ›Sitzredakteur‹, der für alle verlorenen Prozesse ins Gefängnis ging und die Strafe absaß! Er bekam mehr Gehalt als der Verlagsleiter. Ein Journalist muß Opfern können und sich selbst opfern! – Ich bringe den Artikel über Bergh!«
Gabriele Orth riß die Briefe an sich und stopfte sie in den Ausschnitt ihres Kleides. Mit großen Augen sah Artur Sporenka ihr zu.
»Was machen Sie denn da?« stotterte er.
»Jetzt bringen Sie den Artikel nicht! Ich habe die Briefe!«
Sporenka sprang wie elektrisiert auf. Er warf seine Zigarre weg und rannte um den großen Tisch herum auf Gabriele zu. Sie blieb stehen und kreuzte beide Hände über ihre Brust.
»Ich gebe sie nicht wieder her!«
»Die Briefe 'raus!« brüllte Sporenka. »Oder ich hole sie mir!«
»Sie wollen mir doch nicht in den Ausschnitt greifen, Herr Chefredakteur?«
»Für den Leser tue ich selbst das!« schrie Sporenka. Aber er besann sich rechtzeitig und rannte um Gabriele herum. »Ich entlasse Sie auf der Stelle! Ich mache Sie in Wien unmöglich. Ich zeige Sie an wegen Diebstahls! Ich – ich … Die Briefe 'raus, oder ich vergesse mich!«
»Ich dulde es nicht, daß man mit Professor Bergh solch ein Schindluder treibt! Ich vernichte die Briefe!«
»Sie sind Eigentum der Zeitung! Sie werden einen Schadenersatz zahlen, den Sie nie abtragen können!«
»Ich werde alles tun. Alles! Wenn nur dieser Artikel nicht erscheint!«
»Das ist ja merkwürdig.« Sporenka blieb stehen und musterte Gabriele Orth. »Was ist denn mit Ihnen los, Gabi?«
»Ich liebe ihn«, sagte sie schlicht.
Sporenka setzte sich, als habe er Angst, umzufallen. Ungläubig starrte er Gabriele Orth an.
»Sie – Sie lieben ihn? Mein Gott – seit wann denn?«
»Ich weiß es nicht.« Sie hob die Schultern.
Sporenka hatte fast Mitleid mit ihr. Aber wenn er an die Briefe in ihrem Ausschnitt dachte, wurde er wieder rot vor Erregung.
»Und er?«
»Der Artikel erscheint nicht!« sagte Gabriele fest. »Und wenn Sie ihn trotzdem schreiben …« Sie sah auf Sporenka hinab. In ihre Augen trat eine gefährliche Kälte, die Sporenka noch nie an ihr gesehen hatte. »Es gäbe auch einen schönen Artikel über die Spesen des Chefredakteurs, die er für seine Reporter einsetzt und selbst kassiert …«
»Das ist Erpressung!« heulte Sporenka auf. »Das ist ganz gemeine Erpressung!«
»Gemeinheit gegen Gemeinheit.« Gabriele Orth nahm die Briefe aus dem Ausschnitt. Ehe Sporenka zugreifen konnte, hatte sie sie zerrissen und die Schnipsel aus dem Fenster geworfen. »Da gehören sie hin, woher sie kamen – in die Gosse!«
»Sie sind entlassen!« sagte Sporenka kalt.
»Ich habe bereits ein Angebot vom österreichischen Kurien.«
»Vom ›Kurier‹?« Sporenka stützte den Kopf in beide Hände. »Mir platzt die Galle«, sagte er kläglich. »Ich fühle es – die ganze Bauchhöhle füllt sich mit Gallensaft.«
»Gehen Sie zu Professor Bergh!«
»Sie Luder …«
»Wenn Sie es sagen, ist es ein Kompliment.« Gabriele Orth nahm ihre Baskenmütze, drückte sie auf die kurzen Haare und ergriff ihre Tasche. »Ich bekomme noch drei Monate Gehalt. Ich habe dreimonatige Kündigung. Sagen Sie dem Lohnbüro bitte Bescheid, daß ich …«
»Reden Sie kein Blech, Gabi!« Sporenka seufzte. Wer ihn nicht kannte und seine Fähigkeit, den sterbenden Mann zu spielen, konnte Mitleid bekommen und nach einem Krankenwagen telefonieren. »Zum ›Kurier‹ lasse ich Sie nicht! Ausgerechnet zum ›Kurier‹! Oh, diese Weiber!«
»Und der Artikel gegen Bergh?«
»Lassen Sie mich in Ruhe!« Artur Sporenka
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