Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Fetzen am zerschundenen Leibe.
Und überall sah es gleich trostlos aus. Auf der Wiener Straße mußte ich mich erst orientieren, in welcher Gegend wir uns überhaupt befanden; man konnte fast unbehindert bis hinüber zu den kahlen Ruinen der Ostbahnstraße blicken, wobei ich feststellte, daß vom Hause Nr. 16, in welchem ich zuletzt mein Atelier hatte, nichts mehr übriggeblieben war. Also hatte ich auch hier alles verloren: alle Arbeitsmaterialien und Bilder, die Früchte meines dreißigjährigen Schaffens, vorbei, dahin!
Sollte ich alles Weitere heil überstehen, so hieß es auch für mich, ganz klein und bescheiden von vorn anzufangen.
An der Haltestelle Lenné- und Parkstraße lag eine ganze Reihe zugedeckter Leichname. Ihren Pelzmützen und Stiefeln nach waren es schlesische Flüchtlinge, die in der Schreckensnacht vom 13. zum 14. Februar hier ihr armseliges Ende fanden. Wir bogen in den Großen Garten ein, durch den allerlei Trampelpfade rings um gestürzte Bäume und tief gähnende Sprengtrichter führten. Ich wandte mich noch einmalum und blickte hinüber zu den öden Ruinen der nunmehr toten Stadt Dresden, welche der ausgebrannte Turm des neuen Rathauses schwarz und häßlich überragte. Noch stand der »Rathausmann« mit ausgestrecktem Arm droben auf der kahlen Eisenkonstruktion, und es schien, als wolle er bedeuten: »So hoch liegen die Trümmer.« Unversehrt zeigte sich der »Ballwerfer« von Fabricius drüben inmitten der Sportwiesen auf seinem Fundamente.
Wie seltsam, daß fast alle Standbilder, die man nicht vorher von ihren Sockeln herunterholte, die Schrekkensnacht überdauerten!
Der Große Garten bot schlimme Bilder. Allmorgendlich hatte ich ihn, seit wir am Fürstenplatz wohnten, freudvoll durchwandert und die schönen alten Bäume, die schmucken Alleen und prächtigen Architekturen lieben gelernt. Jetzt war das alles nur noch Chaos, ein Feld der Vernichtung. Tote lagen überall in den Büschen, zwischen den Bäumen und an den geschändeten Mauern des Palais. Neben der zugedeckten Leiche eines Weibes stand ein verkohltes Kindersportwägelchen, und daneben lag ein kleiner, armseliger Teddybär.
Es war traurig, das zu sehen, aber in mir war alles zusammengekrampft und stumpf nach so viel Entsetzen.
Auf den hohen Bäumen vor dem Zoo kreischten Kormorane, Pelikane und anderes aus den Käfigen entronnenes Getier. Die Großkatzen hatte man, soweit sie nicht schon getötet worden waren, erschossen, und es ist keine Legende, daß eine Einwohnerin an der Tiergartenstraße am frühen Morgen des 14. ein Scharrenund Kratzen an der Tür vernahm, und als die Frau hinausschaute, stand mit bittend erhobenen Tatzen ein mächtiger Braunbär vor ihr, auf dessen Schulter ein blutendes Rhesusäffchen hockte. In wunderbarer Ruhe kreiste ein Adler, der seine Freiheit gewonnen hatte, über uns in der Luft, ein Anblick, der mich seltsam ergriff.
Am Ausgange des Großen Gartens begann ich mit Jack dann ausführlich zu fahnden, ob wir nicht doch irgendwelche Spuren unserer vermißten Angehörigen entdeckten. Ich drehte sogar die Toten um und sah in ihre entstellten, kalten Gesichter.
Gepäckstücke, Kleider und Koffer sah ich mir an. Was manche in ihrer Verwirrung aus den Häusern mitgenommen hatten! Da ein Koffer voller Grammophonplatten und dort einer mit Hüten. Neben der Bank am Comeniusplatz lag noch immer unsere Seltersflasche, sonst aber fanden wir nichts.
Durch die völlig demolierte Fürstenstraße gelangten wir an die Brandruine unseres Hauses. Zu Bergen lag der Schutt gehäuft, und dem Keller entströmte eine solche Hitze, daß wir nicht wagten, in ihn einzusteigen. Ich nahm ein Stück Kreide, das am Mauersims lag, und schrieb neben den vielen anderen Nachrichten der Hausbewohner, die ziemlich heil entkommen waren, die schweren Worte: »Wo befindet sich meine Frau mit drei Kindern? Bitte um Nachricht«, und darunter setzte ich meine neue Anschrift. Innerlich gab ich die Hoffnung, meine Angehörigen wiederzusehen, nicht einen einzigen Augenblick auf. Ich glaubte so fest und mit solch einer Kraft des Herzens daran, daß ein Zweifel gar keinen Raum hatte. Nur ein bittererSchmerz wühlte in mir, als ich so vor dem vernichteten Hause stand und nach den verödeten Fensterhöhlen unserer Wohnung emporschaute.
Gegenüber am Platze waren etliche Häuser verschont geblieben. Selbst auf der Fürstenstraße gab es noch zwei fast unversehrte, und als wir nun zum Waldersee-Platz gingen, stellte ich fest, daß auch da
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