Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
noch etliches existierte und das Haus meines Freundes Dr. Arthur Schäfer kaum eine Beschädigung aufwies.
Leider trafen wir hier niemanden an. Irgendwo heulte ein vergessener Hund verzweifelt im Hause. Der noch alle Straßen füllende Brandgeruch würgte mich. Ich eilte, fortzukommen, und nahm mit Jack den nämlichen Weg wie am Morgen unseres Auszuges. Bei Freund Fraaß in Gostritz war auch dessen Frau Grete, und wir gingen wieder nach Bannewitz.
Der Flüchtlingsstrom aus Dresden hielt an. Erschöpfte alte Leute hockten am Straßenrande und warteten darauf, von irgendeinem Gefährt mitgenommen zu werden. Ich war förmlich zerbrochen nach diesem Gang in die tote Stadt und atmete erst auf, als wir die freie Höhe erreichten, auf der es keine Trümmer und nicht diesen entsetzlichen Geruch des Unterganges gab.
Arolsen KZ-Archiv
Betrifft: Massenmord, der sich in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1945 abspielte.
Aussage: Josef Domoskos, Budapest, Verteidiger in Strafsachen.
Um ungefähr 3/4 8 Uhr früh bin ich selber dorthin gekommen und sah, daß der Teil hinter dem Krematorium mit nackten Körpern bedeckt ist. Vielleichtirrte ich mich, ich taxierte sie aber auf 200 bis 250 Personen. Der größte Teil – vielleicht etwa Dreiviertel der Menschen – lag unbeweglich in der Kälte. Einige – etwa sechs bis acht – konnten den Oberkörper zwar schwer, aber noch erheben. Keiner von ihnen konnte jedoch aufstehen. Ein einziger Mann hatte noch die Kraft, anderthalb Meter am Boden zu rutschen, um einen Fetzen unter seinen Leib zu schieben. Die übrigen konnten nur Kopf oder Arme heben, ohne daß ich auch nur einen Laut gehört hätte. Dann erschien der lange SS-Unteroffizier, den wir als »Lustig’s Landsmann« kannten. Mit einem großen Stock schlug er aus voller Wucht gegen die am Boden Liegenden, und zwar auf diejenigen, die sich noch bewegten. Er zielte hauptsächlich auf den Nacken. Die meisten blieben nach dem ersten Schlag bewegungslos. Die ganze Szene spielte sich vollständig lautlos ab, dauerte kaum zehn Minuten, wonach sich der Soldat entfernte. Kurz danach erschien ein anderer Soldat, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte; er war gut genährt, mittelgroß, hatte grauliches Haar. Der setzte die Arbeit in derselben Weise fort, etwas kürzere Zeit, dann ging auch er. Danach erschien ein Lagerfeuerwehrmann, namens Lutz, aus Deutsch-Elsaß. Er ging aber nur auf und ab, ohne etwas zu tun. Vielleicht könnte er die Person des obengenannten Soldaten nennen.
KZ Sachsenhausen Franz Ballhorn
Die Massenmordaktion scheint abgeschlossen zu sein. Über 3900 Opfer fielen! Allein aus dem Krankenbau sind mehr als 700 Patienten zur Gaskammer geschleppt worden. Darunter Laurenz Breunig, der frühere sozialdemokratischeReichstagsabgeordnete, und Dr. Hellmuth Späth, der Berliner Baumschulen- und Gartenbaufachmann. Einige aus dem Konzentrationslager Auschwitz entkommene SS-Männer sind mit der Ausstellung der Totenscheine beschäftigt. Sie haben alle den gleichen Wortlaut: »Auf Transport verstorben«.
Am Sonntag ging ein zweiter Transport nach Belsen ab. Diesmal an die tausend Häftlinge. Zwei ehemalige Minister, darunter M. Dr. Timotheus Verschuur, früherer holländischer Wirtschaftsminister, und Arthur Vanderpoorten, Innenminister im letzten belgischen Vorkriegskabinett. Beide waren gute, hilfsbereite Kameraden.
Auch unsere »Prominenz«, mehrere jugoslawische Diplomaten und niederländische Theologen, darunter der Sekretär des Bischofs von Roermond, Drs. Leo Moonen, ist bereits verfrachtet. Bestimmungsort unbekannt. Gemunkelt wird, ihre Namen ständen auf der Todesliste.
KZ Sachsenhausen Odd Nansen
Auf dem Revier liegt ein kleiner Judenjunge, der noch keine zehn Jahre alt ist. Er kommt von Auschwitz. Seine Füße sind erfroren, und einige Zehen mußten amputiert werden. In Auschwitz war er Laufjunge im Krematorium. Er erzählt u. a., daß die größte Anzahl, die die Gaskammer auf einmal fassen könne, zweitausend sei, und »dann wurden zwei Büchsen gebraucht«, sagte er. »Woher weißt du denn das?« fragte ihn jemand. »Doch, ich holte ja die Büchsen«, antwortete der Junge. Er erzählte auch, daß sein Vater, mit dem er zusammen wohnte, ihn oft in den Kleiderhaufen versteckenmußte, wenn im Lager Razzien nach Judenkindern waren. Auf diese Weise wurde er gerettet. Ich möchte wissen, ob das der kleine Junge war, der an der Hand seines Vaters ging und ihn nicht loslassen wollte, nicht einmal, als
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