Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
meinem kleinen DKW, der mich wieder nach Moritzburg brachte.
Dresden Otto Griebel 1895–1972
Da die Alarme meist mittags oder abends einsetzten, ging ich mit Jack und unserer Wirtin zweimal des Nachmittags nach Dresden, wo wir in Reick Bekannteund vor allem die Vermißtenzentrale aufsuchen wollten, um da eventuell einiges erfahren zu können. Bei dieser Gelegenheit durchquerten wir das gesamte Stadtgebiet in verschiedenen Richtungen und sahen immer neue Bilder des Schreckens und der trostlosesten Verwüstung.
Am Hauptbahnhof war noch alles so, wie es die fürchterliche Angriffsnacht hinterlassen hatte: Stapel von ausgebrannten Fahrrädern lagen an den Unterführungen, von denen die eisernen Geländer wie auch die Oberleitungen der Straßenbahn zerfetzt herabhingen. In der Ecke hatte man einen Berg verkohlter Leichen aufeinandergeschichtet, und an der Ammonstraße gewahrte ich zwei aneinandergebundene Tote neben einer ebenfalls getöteten Frau, die eine »Ostarbeiterin« gewesen sein mag. Auf einem davorgestellten Pappkarton standen die Worte geschrieben:
»Wegen Plünderns erschossen.«
Die Prager Straße konnte man kaum passieren, und in den engen Seitenstraßen dieses Viertels türmte sich der Schutt unübersteigbar hoch. Die Häuser boten traurige Anblicke. Von vielen existierten nicht einmal mehr die Fassaden. Über den Sternplatz mit dem ausgebrannten Gebäude der Ortskrankenkasse gelangten wir zur Annenkirche, in deren verhältnismäßig wenig zerstörtem Innenraum Männer vom Katastropheneinsatz ihr Quartier genommen hatten. Die Aufgabe dieser Männer war die der Leichenbergung und der allerersten, nötigsten Aufräumungsarbeit. Doch sahen wir in etlichen tiefen Sprengtrichtern auch amerikanische Kriegsgefangene arbeiten, die rote Baskenmützen trugen und einer Fallschirmjägerformation angehörthatten. Unter ihnen befanden sich Mulatten und Neger.
Den Postplatz hatte es übel zugerichtet, und es wirkte grotesk, wie inmitten dieses Chaos ausgerechnet die Rotunde der Dresdner Straßenbahn ohne besondere Beschädigungen stehengeblieben war. Auch schienen die Dresdner Bedürfnisanstalten einen besonderen Schutzpatron zu haben, denn von ihnen blieben auffallend viele übrig.
Eine tiefe Trauer überkam mich, als ich der Sophienkirche, des Zwingers und der Umgebung des Schlosses sowie der Katholischen Hofkirche ansichtig wurde. Ich vermochte es einfach nicht zu fassen, all diese Bauten in solch grausiger Zerstörung wiederfinden zu müssen. Geborstene Plastiken und Architekturteile bedeckten das Straßenpflaster.
Mir krampfte sich das Herz mit jedem Schritt, den ich tat, mehr und mehr zusammen, und der stickige Brandgeruch reizte zur Übelkeit. Hastig trachtete ich, über die Friedrich-August-Brücke zu gelangen, die auf der Neustädter Seite einen schweren Treffer erhalten hatte. Als ich mich nach der Altstadt umkehrte, bemerkte ich, daß das Wahrzeichen Dresdens, die wuchtige Kuppel der Frauenkirche, gänzlich fehlte. Sie gab es nun auch nicht mehr.
Stumm und entsetzt schauten auch alle anderen Passanten auf die Reste unserer einst so schönen Stadt. In den Elbwiesen entdeckte ich eine ganze Anzahl großer Sprengtrichter. Überall lagen noch Blindgänger und Brandbombenteile umher. Auch die Neustadt hatte es schwer getroffen; das »Blockhaus«, das »Narrenhäusel«, alles lag zertrümmert. In der Klostergassemußte es einem bei dem herrschenden Sturm förmlich angst werden, daß die einzeln stehenden Fassaden zusammenstürzten und uns womöglich unter dem Schutt begruben. Besonders schmerzlich berührte es mich, das im alten »Jägerhof« beheimatete Oskar-Seyffert-Museum bis auf die Grundmauern vernichtet zu sehen. Mit wieviel Liebe hatte »unser Hofrat« dieses köstliche kleine Museum sächsischer Volkskunst aufgebaut!
Auch der »Zirkus Sarrasani«, dessen stattlicher Rundbau ganz in der Nähe lag, hatte schwersten Schaden erlitten. Frau Stosch-Sarrasani, die das Unternehmen bis zum Tage des verheerenden Angriffs leitete, beging vor Kummer und Verzweiflung Selbstmord. Ihr sonst so bewunderungswürdiger Mut ertrug diesen allzuharten Schlag nicht.
Im Ministerium, welches das Ziel unseres weiten Ganges war, hatten wir leider nur sehr wenig Erfolg. Ich konnte lediglich einen Zettel mit den Angaben der vermißten Angehörigen in einen Kasten werfen und dann enttäuscht die Heimkehr antreten. Den Rückweg nahm ich über die nur leicht beschädigte Albert- Brücke. Als Jack und ich eben das
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