Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Altstädter Ufer erreicht hatten, stürzte nahe hinter uns am Elbberge eine vierstöckige Fassade zusammen, und wir eilten, um dieser gefahrvollen Gegend über den breiten Ring zu entrinnen.
Auch hier sah es traurig aus, aber am meisten wohl am neuen Rathause, das ganz demoliert war. Der Kuppelbelag des Turmes war wie zerknittertes Papier auf die Grünflächen geschleudert worden, neben denen halbverbrannte Schlauchleitungen der Feuerwehr verkündeten, daß man hier verzweifelt Löscharbeit zu leisten versuchte. Nur der »Rathausesel« mit seinem trunkenen Reiter stand noch wie ehedem am Eingange des Ratskellers, schier wie ein Hohn auf all die Zerstörung ringsum. Der Wirt des nahen »Englischen Gartens«, welches eine der nobelsten Dresdner Gaststätten gewesen war, sprach mich an und fragte, an wen er sich wegen des Schadensersatzes zu wenden habe. Da konnte ich nur noch bitter lächeln und sagte: »An den Reichsstatthalter Mutschmann, beziehungsweise an Herrn Adolf Hitler.«
Da sich der Zugang zum Altmarkt als gesperrt erwies, suchte ich durch die Waisenhausstraße zum Hauptbahnhof zu gelangen. Doch dort wurden gerade Hausruinen gesprengt, und so mußten wir auf Umwegen den Ferdinandplatz zu erreichen suchen, in dessen Umgebung die Verheerungen fürchterlich waren. Überall lagen noch verkohlte Leichname zwischen den Trümmern herum. Aus einer mitten auf der Straße stehenden Wanne grinste uns der abgerissene Kopf eines Kindes entgegen. Es war unheimlich, hier zu gehen, und ich atmete wie erlöst auf, als wir endlich den Hauptbahnhof hinter uns hatten und am Sedanplatz den Autobus besteigen konnten, der uns wieder über die Felderhöhen hinweg nach Bannewitz brachte. Es kostete mich, abgesehen von der Gefahr eines neuerlich einsetzenden Angriffs, dieser Gang durch Dresden die größte Überwindung, und das, was ich dort sah, wirkte bis zur Schwermut in mir nach, so daß ich es vermied, die so grausam hingemordete Stadt unnötig aufzusuchen.
Drei Wochen voll quälender Ungewißheit hatten meinSohn Jack und ich warten müssen, ehe wir über meinen Bruder aus Westsachsen endlich die erlösende Nachricht erhielten, daß sich meine Frau mit den drei übrigen Kindern wohl und gesund in Eschdorf im Kreise Pirna befände.
Unsere Freude darüber war ungeheuer groß. Eiligst packten wir unsere wenigen Habseligkeiten in einen alten Koffer und den uns verbliebenen Rucksack. Noch einmal holten wir unser Mittagsmahl aus den Gefangenenbaracken der Klemmschen Fabrik, um dann, nach herzlichem Dank an unsere Gastgeber, sogleich loszuziehen.
Da wir aber nichts Näheres über den Aufenthalt meiner Angehörigen wußten, wurde der Bürgermeister von Eschdorf befragt, der uns in das Unterdorf Nr. 1 1 zum Bauern Michael wies, wo meine Frau mit den Kindern ein Unterkommen gefunden hatte.
Die Dorfstraße war schon dunkel. Doch wie froh schritten wir sie hinab. Ich kannte das Dorf von meinen früheren Wanderungen her und liebte es. Endlich tauchten die Umrisse des großen Gutsgebäudes auf. Der Hauseingang war bald gefunden, und nun trat uns mein achtjähriger Sohn Matthias mit strahlenden Augen aus dem Kuhstall entgegen. Wenige Augenblicke später gab es dann endlich das Wiedersehen mit der Frau und den beiden Jüngsten.
Der ebenerdige Raum, in dem sie wohnten, war die »gute Stube« der Bauersleute. Er war erfüllt von anheimelndem, abendlichem Lampenlicht und von angenehmer Wärme, die ein eisernes Kanonenöfchen spendete.
Zwei Betten und eine gepolsterte Liegestatt standenuns sechs Personen zwar nur zur Verfügung, aber das reichte schon, und als wir nun, unsere Erlebnisse austauschend, alle am Tisch beisammensaßen, überkam mich das köstliche Gefühl der Geborgenheit.
Wie gut schlief ich an jenem Abend des Wiedersehens mit der Familie mit dem kleinen Reginchen in dem engen, ländlichem Bett!
Beglückt sah ich am Morgen die milde Märzensonne in die entdunkelte Stube scheinen. Mir wuchs aller Mut aufs neue, und ich ward froh, wie ich es seit meiner Heimkehr nach der Flucht aus dem Osten nicht mehr gewesen war, trotz des Verlustes allen Hab und Guts.
Dresden Liesbeth Flade
Teuschers in Radebeul forderten uns sehr herzlich auf, doch ja mit unseren Sachen zu kommen. Vati bekam einen LKW zugesagt (mit welchen Schwierigkeiten das alles verknüpft war, ist nicht zu beschreiben), und er brachte mir schon am Sonnabend sechs Kriegsgefangene mit zum Helfen. Die armen Kerle halfen ganz ordentlich, sie freuten sich auch, daß sie
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