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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Großen Garten zustrebten und vor den hin- und her jagenden Feuerstößen Schutz hinter den Straßenbäumen oder in einigen noch erhaltenen Hauseingängen suchten, begegneten uns. Selbst der Asphalt begann heiß zu werden und schmolz unter Brandfladen und Phosphor, brannte schließlich.
    Als wir abermals unsere Wohnung erreicht hatten, fand ich die Stube fast noch so vor, wie ich sie am Abend verlassen hatte. Nur das große Selbstbildnis, welches über der Kredenz gehangen hatte, war vom Luftdruck herabgeschleudert worden und wies einendreieckigen Riß auf, der durch den Aufschlag auf die Ecke der Kredenz entstanden war. Vor den zersprungenen Fensterscheiben blähten sich knisternd die herabgelassenen Verdunklungsrollos, und durch alle Lücken und Fugen wirbelten die Funken in das durch die Brände unheimlich erleuchtete Zimmer. Noch stand mein kleiner, runder Arbeitstisch so, wie ich ihn benutzt hatte: am Fenster neben dem Schrank, der meine verschiedenen Sammlungen enthielt.
     
    Berlin Adolf Hitler 1889–1945
    Politisches Testament
    Auch die Ostmärkler haben, wie die Preußen, ihren Nationalstolz im Blut. Das kommt daher, daß sie in den Jahrhunderten niemals unter fremder Herrschaft standen, sondern im Gegenteil anderen Völkern befohlen und sich Gehorsam zu verschaffen gewußt haben. Die Deutsch-Österreicher sammelten ihre Erfahrungen in der Handhabung von Herrschaft und Macht, und darin ist der Grund ihrer von niemand bestrittenen Weltgewandtheit zu sehen.
    Der Nationalsozialismus wird wie in einem Schmelztigel alle Eigenheiten der deutschen Seele rein erstehen lassen. Der Typus des modernen Deutschen wird daraus hervorgehen: arbeitsam, gewissenhaft, selbstsicher aber einfach, stolz nicht auf das, was er als Einzelner ist, sondern auf seine Zugehörigkeit zu der großen Gemeinschaft, der die Welt ihre Bewunderung zollen wird. Dieses deutsche Überlegenheitsgefühl verlangt durchaus kein Verachtungsgefühl gegenüber den anderen. Wir haben dieses Gefühl zuweilen absichtlich etwas überbewertet, weil wir es im Anfang
    als treibende Kraft für notwendig erachteten, um die Deutschen raschestens auf den rechten Weg zu bringen. Übertreibung nach einer Seite hat ja fast immer eine Reaktion nach der Gegenseite zur Folge. Das liegt in der Natur der Dinge. All das vollzieht sich aber nicht von heute auf morgen; dazu muß die Zeit helfen. Friedrich der Große ist der eigentliche Schöpfer des preußischen Typus. Es bedurfte zweier oder dreier Generationen, um diesen preußischen Typus Fleisch und Blut werden zu lassen, um den preußischen Lebensstil zu einem, jeden Preußen anhaftenden Wesenszug zu machen.
     
    KZ Dachau Nico Rost
    Habe den Blockschreiber von 29 nach dem Besitzer des Buches von Renan gefragt, doch da gestern fünf Franzosen bei ihm gestorben sind, konnte er sich nicht mehr an den Namen erinnern, wußte nur noch, daß er sehr mager gewesen ist, Flecktyphus hatte und Hungerödeme und Phlegmone an beiden Beinen.
    Doch daran kann ich ihn in der Totenkammer bestimmt nicht mehr erkennen – so sehen hier fast alle Toten aus.
    Bin aber dann doch noch nach der kleinen Straße vor der Totenkammer gegangen, um ihn zu suchen – ihn zu grüßen, aber die Russen vom Krematoriumskommando waren gerade dabei, die Leichen aufzuladen. »Heute wieder Hundertfünfundvierzig.«
    Unbekannter Kamerad – wie war dein Name? Wie gerne wäre ich dein Freund gewesen...
     
    KZ Sachsenhausen Odd Nansen
    Aus der Tb-Abteilung auf dem Revier werden ständig Leute herausgesucht, die direkt in das Krematorium gehen. Ja, direkt! Nicht zuerst in die Gaskammer, sie bekommen einen Schlag auf den Kopf, das genügt. Man hört Schreie und einzelne Schüsse, wenn eine Abteilung dorthin gegangen ist. Lange habe ich geglaubt, daß es nur die hoffnungslos Kranken sind, die dieses Schicksal ereilt. Jetzt erfahre ich, daß auch hier Auswahl ganz zufällig ist. Ein großer starker Pole, der vier Jahre auf der Tb-Abteilung gelegen hat und der keineswegs hoffnungslos krank ist, sollte dieser Tage genommen werden. Er bekam Wind davon, sprang durch das Fenster hinaus und versteckte sich im Lager. Der Blockälteste nahm einen anderen Patienten, einen Polen oder Ukrainer, aus einem Bett heraus und sandte ihn an dessen Stelle weg. Die Quote mußte stimmen, um Krach zu vermeiden. Es heißt, daß aus dieser Abteilung Leute ins Krematorium geschickt werden, ohne überhaupt untersucht worden zu sein. Mit den Juden aus Liberose ist noch nichts geschehen.

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