Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Griebel 1895–1972
Ich ging nun mit Hast daran, zu bergen, was mir besonders wertvoll erschien, und holte als erstes einen Stapel von Aquarellblöcken, in denen ich Zeichnungenund Studien aufbewahrte, vom Schrank, um alles in einen kleinen Reisekorb zu legen. Jack suchte derweilen im Kämmerchen die Wäscheleine, und da er sie nicht fand, schaute ich selbst mit nach und hängte einen großen Rucksack von der Wand. Im diesem Augenblick hörte ich den gellenden Schrei: »Neuer Angriff, alles in die Keller!«
Ich griff eben noch ein Rolle Malleinwand, dann heulten bereits neue Bombenserien auf unsere unglückliche Stadt hernieder, und es dröhnten die Detonationen.
Jedenfalls weiß ich nicht mehr, wie wir den Keller erreichten, der sich unter der Wucht der Einschläge förmlich drehte und hob. Jack und ich hockten dicht neben dem Durchbruch in der Brandmauernische, und bei jedem Einschlag traf mich der Luftdruck wie mit einer kräftigen Ohrfeige, denn die Öffnungen unseres Kellers waren nirgends verschlossen.
Immer furchtbarer krachten die Sprengbomben. Fast schien es, als ob von Dresden diesmal überhaupt nichts mehr bleiben solle und als könne diesem schauerlichen Angriff auch nicht ein einziger entrinnen. Jack hielt sich dennoch sehr tapfer, und auf seine bange Frage, ob wir durchkommen werden, beruhigte ich ihn, daß wir bestimmt Glück haben werden. Ich selbst hatte weniger Sorge um mich als um meine Frau mit den drei Kindern, die diesen grauenvollen Angriff völlig schutzlos und im Freien auf dem Comeniusplatz über sich ergehen lassen mußten.
Es war mir unerträglich, ihnen weder helfen noch beistehen zu können. Früher hatte ich ihnen manchmal den Rat gegeben, sich während eines Luftangriffes festan den Boden zu drücken und jede, auch die kleinste Vertiefung, auszunützen. Aber das Inferno dieser Nacht löschte wohl jede Überlegung aus. In immer neuen Serien pfiffen die Bomben hernieder, und unter ihren furchtbaren Explosionen schwankte der ganze Keller, in dessen Dunkel, das hin und wieder nur durch ein jähes Aufflammen erhellt wurde, die Hausbewohner dichtgedrängt beisammenhockten wie todesbange Tiere. Die Luft wurde stickig. Überall tanzten Funken herein, und ich fühlte, daß wir es so nicht mehr lange aushalten konnten. Einmal schien schon alles vorüber zu sein, aber dann warf doch noch eine ›Welle‹ ihre Sprengladungen ab, und der Keller bebte von neuem. Einige Augenblicke waren wir alle wie betäubt, und als endlich keine Explosionen mehr erfolgten, vermochte man es kaum zu fassen, daß man heil davongekommen war.
über Dresden Ein RAF-Bomberschütze
Es war das einzige Mal, daß ich Mitleid mit den Deutschen hatte. Aber mein Mitleid dauerte nur ein paar Sekunden; unsere Aufgabe war es, den Feind zu schlagen, und zwar vernichtend zu schlagen.
(Dresden) Victor Klemperer 188 1–1960
Nach einer Weile, es muß nach ein Uhr gewesen sein, sagte Eva: »Alarm.« – »Ich habe nichts gehört.« – »Bestimmt. Es ist leise gewesen, sie fahren Handsirenen herum, Strom fehlt.« – Wir standen auf, Frau Stühler rief an unserer Tür »Alarm«, Eva klopfte bei Frau Cohn an – von beiden haben wir nichts mehr gehört – und eilten hinunter. Die Straße war taghell und fastleer, es brannte; der Sturm blies wie vorher. Vor der Mauer zwischen den beiden Zeughausstraßen-Häusern (der Mauer des einstigen Synagogenhofes mit den Baracken dahinter) stand wie gewöhnlich ein Stahlhelmposten. Ich fragte im Vorbeigehen, ob Alarm sei. – »Ja.« – Eva war zwei Schritte vor mir. Wir kamen in den Hausflur der Nr. 3. Indem ein schwerer naher Einschlag. Ich drückte mich kniend an die Wand in der Nähe der Hoftür. Als ich aufsah, war Eva verschwunden, ich glaubte sie in unserem Keller. Es war ruhig, ich stürzte über den Hof in unsern Judenkeller. Die Tür klaffte. Eine Gruppe Leute kauerte wimmernd rechts der Tür, ich kniete links dicht am Fenster. Ich rief mehrmals nach Eva. Keine Antwort. Schwere Einschläge. Wieder sprang das Fenster an der Wand gegenüber auf, wieder Taghelle, wieder wurde gespritzt. Dann ein Schlag am Fenster neben mir, etwas schlug heftig und glutheiß an meine rechte Gesichtsseite. Ich griff hin, die Hand war voller Blut, ich tastete das Auge ab, es war noch da. Eine Gruppe Russen – wo kamen sie her? – drängte zur Tür hinaus. Ich sprang zu ihnen. Den Rucksack hatte ich auf dem Rücken, die graue Tasche mit unseren Manuskripten und Evas Schmuck in der Hand, der
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