Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
verbrachten dort den Rest der Nacht.
Dresden Ernst Heinrich Prinz von Sachsen 1 896–1971
Etwa eine dreiviertel Stunde später hörten wir wieder die Alarmsirene, noch als dünnen Ton aus weiter Ferne. Da dies auf einen zweiten Angriff deutete, forderte ich die in der Wohnung Anwesenden – Gina, ihre Eltern, Schwester und Freundin – auf, sofort mit mir aus der Stadt zu fahren. Ginas Schwester wollte unter keinen Umständen mitkommen, und so fuhr ich mit vier Personen ab. Ich war derart auf die Straße konzentriert, daß ich zunächst nichts anderes bemerkte. Ich mußte herumliegenden Ästen, Mastenteilen und Drähten ausweichen und einer großen Zahl von Menschen, die sich in Sicherheit bringen wollten. Ich kam nur langsam, aber glatt durch all das Durcheinander zum Stadtrand auf die große Straße nach Dippoldiswalde. Dort war es, als ob eine große Himmelsbeleuchtung eingeschaltet wäre, überall hingen die »Christbäume« am Himmel. Das war der kritische Moment, denn jetzt mußten die Bomben fallen. Ich fuhr weiter, irgendwo anzuhalten, wäre sinnlos gewesen. Plötzlich rief Ginas Freundin:
»Halten Sie! Hier ist eine große Röhre im Tal unter der Straße, in die müssen wir hinein.«
Ich stoppte, alle sprangen heraus und liefen die Böschung hinunter. Ich zog noch schnell den Zündungsschlüssel ab und folgte. Es war sehr merkwürdig: Die junge Dame hatte bei einem Spaziergang die Röhre entdeckt und damals gedacht, daß man hier mit sieben Meter Boden über der Röhre gute Deckung bei einem Bombenangriff hätte.
Kaum waren wir in dem Unterschlupf, da ging derHexensabbat los. Heulend und pfeifend kamen die Bomben herunter, überall das Krachen der Einschläge. Es regnete bei starkem Wind. Ich blieb am Eingang der Röhre, Gina stand hinter mir und mit uns drei französische Kriegsgefangene. Da sahen wir am oberen Rand des Tals ein feuriges Phänomen, das sich auf uns zubewegte. Es entpuppte sich als eine 80 Meter breite und drei Meter hohe Phosphorwand, die durch den Wind in unsere Richtung getrieben wurde. Als sie jedoch in das stillere Tal kam, verminderte sie ihre Geschwindigkeit, kam zum Stehen und brach dann zusammen, wobei sie noch eine Weile am Boden weiterglühte. Kurz danach erfolgte eine ungeheure Detonation, gleichzeitig schoß eine Stichflamme hoch zum Himmel empor. Etwa 300 Meter von uns entfernt war ein Bomber mit seiner Last abgestürzt. Bald darauf sah ich einen Mann am Fallschirm zur Erde niederschweben; er gehörte zur Besatzung des Bombers und war offenbar der einzige, der überlebt hatte.
Dresden Christian Just *1929
Auf einmal hörten wir von der Südvorstadt ganz entfernt Sirenengeheul: Fliegeralarm. Ich weiß nicht, wann es war; ich hatte keine Uhr. Aber ich weiß noch, wie manche Menschen leise aufschrieen: »Nein! Nicht noch einmal!« Und dann begann das, was sich mir als das Inferno von Dresden eingeprägt hat: Motorengedröhn, das Rauschen der herabgleitenden Bomben, das ohrenbetäubende Krachen der Detonationen, einen Augenblick Stille, und dann wieder dasselbe, und wieder, und wieder und immer wieder! Manchmal beginnt das Rauschen im Hochton, hört in der Mittellageauf, und dann dauert es eine Weile bis man in der Ferne die Explosionen hört. Oft aber beginnt das Fauchen in der Mittellage, wird immer tiefer und endet mit berstendem Krachen nicht allzuweit entfernt. Und manchmal hört man nur einen kurzen, tiefen Orgelton, und dann zerreißt ein schreckliches Getöse einem fast das Trommelfell; wenige Augenblicke später prasseln Erdbrocken und sonst etwas auf den Rücken. Und es hört nicht auf und hört nicht auf. Aus der Angst wird Todesangst und endlich die Erwartung, daß ein Treffer der Qual ein Ende bereitet.
Auf einmal sahen wir, daß der Wind glühende Funken unter den Steinen hindurchblies. Sollten wir jetzt noch hier verbrennen? Irgendwie waren auch die Explosionen leiser geworden. Oder krachten nur noch Spätzünder? Ich sagte jedenfalls zu meiner Mutter, gehen wir doch dahin, wo sie die Erde ausgeschachtet haben.
Es wurde kalt – von den herabgebrannten Häusern kam keine Wärme mehr – und fing an zu regnen. Der Angriff war inzwischen wirklich vorbei. So gingen wir in Richtung Großer Garten. An einer großen Platane lehnte ein Stück Bauzaun, unter das wir uns setzten. Im Blickfeld hatten wir das Ausstellungsgelände mit dem Heimatkraftfahrzeugpark, wo in Abständen Explosionen orangefarbene Stichflammen zum Himmel schickten...
Dresden O tto
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