Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Flammen aufgegangen wäre. Auf mein Befragen erfuhr ich von den Hausbewohnern, daß etwa zehn Häuser weiter ein freier Platz, der König-Albrecht-Platz, läge und daß die Häuser untereinander durch Luftschutzwände in den Kellern verbunden seien. Ich ließ von meinen Männern von Haus zu Haus die schwachen Kellerwände einschlagen, und so gelangten wir unter Anwachsen der Menschenmenge durch die jeweils hinzukommenden Bewohner endlich ins »Freie«. Gegen den Funkenregen schützten sich die meisten Menschen durch Umhängen von nassen Decken. An dem genannten Platz lag das Gebäude des Zirkus Sarrasani, der am Abend noch bis zum Beginn des ersten Angriffs gespielt hatte. In der Nähe sah ich eine Gruppe Zirkuspferde, die völlig verschüchtert eng im Kreis beieinander standen.
Dresden Liesbeth Flade
Kaum waren wir so weit, daß wir schlafen wollten, da ertönte die Sirene von neuem. Wir stürzten in den Keller,die Kinder halb angezogen. Wir waren noch auf der Treppe, da begann der Höllentanz von neuem, diesmal noch fürchterlicher. Das Haus erbebte mehrfach, die Scheiben klirrten, aber wir blieben noch verschont. Größte Angst hatte ich um Vati. Da kam er, noch vor der Entwarnung, vollkommen rußgeschwärzt. Er hatte schon Schreckensbilder gesehen und die grausigsten Schilderungen gehört. Unser großer Kellergang war dicht gedrängt voll von Schutz suchenden Menschen, die meisten eilten aber weiter, nur fort, weit fort von diesem Entsetzen.
Aus dem Krankenhaus nebenan waren Mütter, die eben erst entbunden hatten, mit ihren Kindern davongelaufen. Ein solch armes kleines Würmchen packte Schwester Maria, unsere Gemeindeschwester, in unseren Sportwagen in Kissen, und bald schleppte sich die Mutter weiter. In unserem ganzen Haus war mein Küchenofen der einzige, den wir noch heizen konnten. Das Gas brannte natürlich nicht mehr. Merkwürdigerweise hatten wir noch Licht. Ich kochte einen großen Topf Kaffee, um die Leute im Keller etwas zu erwärmen. Aber die meisten waren schon wieder fort.
Dresden Eva Schließer
Zwischen aller Arbeit und Aufregung brach der neue Tag herein – Muttis Geburtstag. Wir gratulierten nur mit einem Geburtstagskuß und wollten uns die Bescherung aufheben, bis die Wohnung wieder in Schuß war. Wer wußte zu dieser Stunde, daß alles noch viel schlimmer kommen sollte. Tante Liesels schöne rote Azalee blühte ein paar Stunden später in einem scheußlichen Trümmerfeld und wurde noch zum Todesschmuckunseres lieben Heims. Denn gerade, als wir uns nach eins hinlegen wollten, ertönte wieder die Alarmsirene. In unsagbarer Hast rannten wir in den Keller und zogen uns dort unten an. Das Haus war nun schon voll von Leuten aus der Nachbarschaft, die wegen Blindgängergefahr ihre Wohnungen räumen mußten. Wir knieten im Kellerflur unter der Treppe, Mutti, Ursel, Tante Liesel, Maria und ich, die Köpfe zusammengesteckt und mit vielen Decken bedeckt. Wir wußten ja genug, als es hieß, daß Christbäume über der Walterbrücke gesetzt wurden. Welch ein Bild des Jammers, der wehrlosen Auslieferung in unserem Keller. Erst später kommt es einem voll zum Bewußtsein. In jener Nacht verging uns fast die Kraft zum Beten. Ich hatte mir das alles nie so vorstellen können, auch meine innere Haltung in der Todesgefahr hatte ich mir ganz anders gedacht. Wie klein war ich doch, wie habe ich gebebt und gezittert! Ich habe immer geglaubt, ich würde nicht am Leben hängen, sind mir doch schon so viele liebe Menschen in die Ewigkeit vorausgegangen. Vielleicht würde man dem Tod in anderer Gefahr freier ins Auge sehen. Haben doch selbst die Soldaten in unserem Keller sich lieber Front und Trommelfeuer in diesem nicht endenwollenden Bombardement gewünscht.
Ganz in unserer Nähe, im Volksbad auf der Vorwerkstraße, ging eine Luftmine nieder. Wir glaubten bei dem Getöse, unser Haus wäre zusammengestürzt. Der ganze Keller war mit Staub gefüllt, alles klirrte, krachte – ach, ich kann es schon heute gar nicht mehr recht beschreiben, wie grausam es war. Aber die unendliche Dankbarkeit, die uns erfüllte, als wir wußten,daß wir den Angriff gesund überstanden hatten und noch vereint waren, spüre ich noch heute wie eine warme Welle. Alles Materielle war abgeschrieben, unser gesundes Beisammensein war ein wundersames Glücksgefühl. – Erst spät konnten wir den Keller verlassen. Ich hatte zunächst noch einen kleinen Strauß mit Herrn Oehme, der sich meiner Ansicht nach allzusehr auf die rein
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