Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
geschieht auf folgende Weise: Die Häftlinge werden aufgerufen und »zum Transport« aufgestellt. (Als wenn die meisten nicht wüßten, wohin es ginge!) Man läßt sie sogar Decken und Schüsseln mitnehmen und was sie sonst an Kleinigkeiten besitzen. Sie werden gut angezogen. Die SS hilft ihnen sogar, die Jacken am Hals zuzuknöpfen, damit sie nicht frieren sollen! Sie nimmt sich ihrer an und ist geradezu nett zu ihnen,damit sie keinen Verdacht schöpfen sollen. Trotz der Wolldecken, der Schüsseln und der Kleinigkeiten sind die Kleider ohne ihre Besitzer vom letzten »Transport« auf die Blocks zurückgebracht worden. Und doch gibt es viele, die sich betrügen lasen und glauben, es ginge wirklich auf einen anständigen Transport. Man könnte vielleicht glauben, daß diese Fälschung, diese Todeskomödie aus Nächstenliebe in Szene gesetzt wird, damit die armen Menschen jedenfalls nicht wissen, daß sie getötet werden sollen. Ach nein, auch Edelmut kennt Grenzen! Es geschieht aus rein praktischen Gründen – es ist das Ergebnis einer jahrelangen Erfahrung. Es hat sich nämlich gezeigt, daß die Menschen, selbst die Kranken, sich nicht ganz freiwillig zur Schlachtbank führen lassen, gerade wie die Tiere auch. Es kommt vor, daß sie ihre letzten Kräfte zusammenraffen, um sich loszureißen und wegzulaufen, Widerstand zu leisten, zu schlagen, zu schreien. Dann müssen sie auf sie schießen, sie wieder einfangen, und allerlei Unannehmlichkeiten können entstehen. Es könnte vielleicht sein, daß unerwünschte Leute auf diese Tätigkeit aufmerksam werden. Nicht von jedem wird sie ja als die hygienische Aktion, als die sie gemeint ist, verstanden und gewertet. Denn Tb ist ja ansteckend, ist einer der schlimmsten und tödlichsten Feinde der Menschheit! Sie muß ausgerottet werden. Gesunde Menschen darf man dieser tödlichen Ansteckungsgefahr nicht aussetzen. Der Schwindsüchtige ist darum ein Feind des gesunden Menschen. Wenn man die Sache also von dieser höheren Warte aus ansieht, kann man den ganzen Prozeß als menschenfreundlich bezeichnen. Aber so »weit« zu schauen, ist wohl nur einzelnen gegeben – Übermenschen!
In letzter Zeit wählt man für diese »Transporte« allerdings einen anderen Weg. Man hat entdeckt, daß die meisten verstehen, wohin es geht, sobald sie um die rechte Ecke biegen. Viele klappen zusammen oder werden lästig aus den genannten Gründen. Darum setzt der Transport, nachdem er durch das Tor gegangen ist, seinen Weg geradeaus fort an der verhängnisvollen Ecke vorbei und geht auch zum äußeren Tor hinaus, hinaus auf die Straße in das freie Deutschland! Und in die angsterfüllten Herzen schießt die Hoffnung, daß es doch übertrieben ist, dieses Gerede von Krematorium und Untergang, daß man ihnen nichts Böses will, daß sie nur in ein besseres Lager übergesiedelt werden sollen, in ein Erholungsheim! Und mit frischem Mut und zunehmenden Lebenskräften wandern sie mit ihren Narrendecken und Sachen los bis zur nächsten Ecke, wo rechts abgebogen wird. Und dann führt man sie durch einen anderen Eingang in die gleiche Anstalt mit denselben gelben Schornsteinen, aus denen sich Tag und Nacht schwerer Rauch wälzt. Viele glauben sogar, daß sie hier nur hinkommen, um in Omnibusse verladen zu werden, die sie zur Bahn bringen sollen. Bei Tb-Kranken ist es ja sehr schwer, die Hoffnung zu zerstören, wenn sie einmal gefaßt ist. Und diese Hoffnung betäubt ihren Verdacht, stumpft ihre Urteilskraft und Beobachtungsgabe ab und bringt sie dazu, bis zum letzten Atemzug mit allen Fasern am Leben zu hängen.
Aber die »Rücksichtnahme« und das ganze Narrenspiel hören auf in dem Augenblick, in dem sie die Schwelle zur Todeskammer überschreiten – sei es nun die Gaskammer, der Krematoriumskeller oder derIndustriehof. Wenn man die Schüsse und Schreie bis zum Revier und den umliegenden Gebäuden hören kann, wie muß es dann sein, wenn man sich im nächsten Raum befindet und »an der Reihe« ist?
Ein Stück Speck von Björn und ein paar Sardinenbüchsen, die sich im gleichen Paket befanden, »retteten« gestern die Lage. Die »Panzerportion« wurde noch einen Tag gespart. Vielleicht können wir noch einen Tag mit dem restlichen Speck und der einen Sardinenbüchse auskommen – wir werden dazu noch ein paar Steckrüben hinunterzwingen, damit der Magen voll wird.
Hamburg Luise Solmitz 1889–1973
(Bericht über einen Theresienstadt-Transport)
Herr R. hielt sich mannhaft. Die Sachen waren schon
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