Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
größere Gruppen von Frauen und Männern und halben Kindern weggeführt, am 14. Februar auch ich mit aufmunterndem Schlag ins Kreuz und »Dawai, dawai Ñ Kommandantura, Dokumente holen«.
    Wir landeten nach einer langen Fahrt hinter dem Ural, arbeiteten im Bergwerk, zunächst über, dann unter Tage und guckten täglich den Karren mit den nackten Menschenleichen nach, innerlich wohl fragend: Und wann fährst du durch dieses Tor? Mein Trotz war stark, aber manchmal war es mir auch egal, dann reichte die Kraft fast nicht mehr zum Denken.
     
    Chemnitz Chemnitzer Zeitung
    Otto Thörner gestorben
    Wie aus den Familienanzeigen der »Chemnitzer Zeitung« ersichtlich war, ist auch Otto Thörner, unser Chemnitz er Dichter, dem Angriff amerikanischer Terrorflieger zum Opfer gefallen. Als feinsinniger Lyriker bekannt, hat er seit Jahrzehnten besonders den Geschehnissen in Stadt und Land mit schönen gehaltvollen Versen höhere Weihe verliehen. Er war ein liebenswerter, ausgezeichneter Mensch und Lehrer.
     
    *
     
    London John Colville 1915–1987
    Aschermittwoch und Valentinstag: eine Kombination, die nicht harmoniert. Blauer Himmel und Sonnenschein ermöglichen es den Luftflotten, Dresden zu zerstören. Der Premierminister macht in Athen eine Zwischenlandung, um die Ovationen der Bevölkerung entgegenzunehmen, die befreit ist von der Furcht, wenn auch nicht von der Not.
     
    Athen Lord Moran 1882–19777
    Wir haben die Franconia heute früh um neun Uhr verlassen und sind nach einer dreieinhalbstündigen, holprigen Fahrt auf einer schlechten Straße in Saki eingetroffen. Auf dem Flugplatz lag eine dünne Schneedecke; ein scharfer Wind blies über das freie Gelände, und ich bekam es mit der Angst zu tun, als wir zwanzig Minuten in der Kälte zitterten, während die Kapelle unaufhörlich spielte und die Ehrenwache vorbeimarschierte. Es waren ein paar Trompeter dabei, diedem PM wegen ihrer Präzision sehr gefielen. Er sagte, die Bewegungen, mit denen sie die Instrumente an den Mund setzten, seien heraldisch korrekt. Sie hätten geradenwegs aus dem Moskauer Ballett stammen können.
    Wir überquerten das Schwarze Meer und die Türkei und flogen über Lemnos, Samothrake, den Berg Athos hinweg – Namen mit einer großen Vergangenheit. Es war angenehm, von dem rauhen, verschneiten Saki in den blauen Himmel und die Sonne Griechenlands hineinzufliegen, und wir fühlten uns sicher im Geleit von sechs Jägern.
    Nach der Landung wurden wir in mehreren Autos direkt zum Königsschloß gebracht. Die Straßen waren von jubelnden Griechen flankiert, und auf dem großen quadratischen Platz standen die Leute so dichtgedrängt, daß sie zwar ihre Hüte in die Luft werfen konnten, aber wenig Aussicht hatten, sie zurückzubekommen. Der Umfang der Menschenmenge und ihre lärmende Begeisterung imponierten dem PM, der solchen Massendemonstrationen gern mehr Bedeutung beimißt, als ihnen eigentlich zukommt. In der Botschaft kam er mir ganz aufgeregt entgegen:
    »Sind sie dabeigewesen, Charles? Ich habe noch nie eine so große und begeisterte Menge gesehen. Das wäre nicht möglich, wenn wir im Unrecht wären.« Ich erinnere mich, wie tief gerührt der PM über den Beifall der Italiener gewesen war, an denen wir auf dem Wege nach Livorno vorbeigefahren waren. Am Ende dieses Tages hatte er ganz anders über das italienische Volk gedacht. Nun waren die Griechen an der Reihe. Sollten auch sie mehr Lebensmittellieferungen
    erhalten? Ich war froh, als wir Winston endlich heil in der Botschaft hatten; einige in dem Haufen sahen ganz danach aus, als ob sie Briganten seien...
    Am Abend, als es dämmert, ging ich zur Akropolis; als ich zurückkam, fand ich noch alle bei Tisch. Der PM sprach noch immer von Griechenland. Er erzählte uns, was er im Unterhaus über die Times gesagt hatte, von der er wegen seiner Politik angegriffen worden war... Abermals erging er sich in düsteren Worten über die finanziellen Schwierigkeiten, die England nach dem Kriege erwarteten, wenn die Hälfte unserer Lebensmittel durch Exporte bezahlt werden müsse. Winston hatte sich ein Viertel vor neun zu Tisch gesetzt. Nun war es dreiviertel eins. Fast vier Stunden hatte dieser Mann, der schon Geschichte war, völlig rückhaltlos zu uns gesprochen, und dennoch waren die Zuhörer halb eingeschlafen.
     
    Washington Anna Eleanor Roosevelt 18 84–1962
    In vielen Teilen der Welt haben die Menschen alles verloren und müssen wieder ganz von vorne anfangen. Wenn man von der Zerstörung der

Weitere Kostenlose Bücher