Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Angriffdrohte. Wir wählten hierzu den Weg über die unzerstörte Marienbrücke, den uns ein Mann am Theaterplatz gewiesen hatte. An einer Unterführung der benachbarten Eisenbahnbrücke war ein Trupp Soldaten von dem Mittagsangriff überrascht worden. Sie waren von einer in ihrer Nähe detonierenden Bombe erfaßt und zerfetzt worden. Körperteile lagen verstreut am Boden oder klebten blutig an der Brückenmauer. Noch später als Student mied ich diese Stelle, die durch die Einschläge der Bombensplitter in der Mauer markiert war. Als wir an der Brandstelle in der Leipziger Straße vorüberkamen, flackerte das Feuer noch immer um schwarzverkohlte Balken. Vereinzelt trafen wir auf Menschen, die mit vollbeladenen Handwagen aus der Stadt strebten. In Radebeul-West fanden wir einen Zug, mit dem wir gegen 21.30 Uhr in Meißen eintrafen. Auf dem Heimweg heulten schon wieder die Sirenen. Zu Hause saßen alle im Luftschutzkeller, und meine Mutter schloß mich weinend in die Arme.
Dessau – Dresden Ursula Flade *1921
Es war der 14. Februar 1945, als eine Telefonistin des [Junkers-Motoren-] Werkes mich in meinem Büro anrief und sagte: »Hier ist gerade eine Meldung durchgekommen, daß Dresden bei schweren Luftangriffen in Schutt und Asche gelegt worden ist.«
Ich nehme sofort Urlaub, fahre los, auf dem Leipziger Hauptbahnhof Fliegeralarm, der Zug fährt in Hast aus dem Bahnhof (Bahnhöfe sind bevorzugte Ziele der Bomber). Ein Bomberpulk donnert über uns hinweg, aber der Bahnhof bleibt verschont. Es kommt Entwarnung, der Zug fährt los Richtung Dresden.
Unterwegs greifen feindliche Tiefflieger den Zug an, sie schießen auf die überfüllten Waggons. Es gibt Verletzte, aber keine Toten. Die Fahrt scheint ewig zu dauern, bis der Zug endlich spätnachmittags in Coswig stehenbleibt und nicht weiterfährt. Alles aussteigen. »Wir wollen doch nach Dresden!« – »Dresden?« fragt ein Eisenbahner. »Da müssen Sie zu Fuß gehen. Alle Schienen sind zerstört.« Aus Richtung Dresden steigen dicke schwarze Rauchwolken auf, am Horizont glüht der Himmel rot. Bis hier heraus nach Coswig wirbeln verbrannte Papierfetzen, schwarze Rußklumpen, Asche durch die von Brandgeruch erfüllte Luft.
Ich mache mich zu Fuß auf den Weg. Nach einigen Stunden erreiche ich Dresden Neustadt, wo Oma Flade in der Marsdorfer Straße am Wilden Mann wohnt. Hier ist nicht allzu viel zerstört. Doch die Luft ist zum Ersticken. Gelbbraune stinkende Rauchschwaden hängen in den Straßen, die Wolken aus Resten verkohlter Kleidung, Papier und Asche werden dichter. Oma empfängt mich völlig verstört, sie ist überzeugt, daß niemand in der Friedrichstadt mit dem Leben davongekommen sein könnte. Sie will nicht, daß ich dorthin durchzukommen versuche, sie glaubt auch nicht, daß irgendeine Elbbrücke noch passierbar ist. Ich will es trotzdem versuchen, nur erst mal ein paar Stunden ausruhen. Es ist schon später Abend. Ich höre auf der Straße lautes Rufen »Alarm, Alarm«. Sirenen sind längst zerstört. Ob wirklich schon wieder Luftalarm ist? Niemand weiß es, aber alle rennen in Panik in den Keller. Nach einiger Zeit kommt ein Mann und sagt, es sei falscher Alarm gewesen. Ich lege mich aufs Sofa und schlafe sofort ein.
Es ist noch dunkel, als ich gegen 4 Uhr wach werde und mich sofort anziehe und auf den Weg mache. Ich muß durch eine Überführung der Bahngleise am Neustädter Bahnhof. Nur eine schmale Gasse führt noch hindurch: links und rechts hochaufgeschichtet Leichenberge. Die Köpfe zeigen nach einer Richtung, die Füße nach der anderen. Als ich durch bin, stehe ich vor einem riesigen Berg von Leichen: verbrannte, verkohlte, zerstückelte Leichen. Bekleidete und nackte Leichen. Verkohlte abgerissene Beine und Arme. Und überall der ekelerregende süßliche Gestank von Verwesung. Mir wird schwarz vor den Augen. Ich renne, renne, bleibe stehen, muß mich übergeben. Ich bin ganz allein, weit und breit keine Menschenseele, das alles ist nicht wahr, denke ich. Aber es ist wahr. Und ich muß weiter. Ich klettere über Steinbrocken und Schutt, über noch qualmende Balken, komme an einer Ruine vorbei, an deren verkohltem Haustürrahmen ein Zettel hängt: »Lisa, wir leben. Sind in Radebeul. Vater.« Also gibt es Menschen, die das Inferno überlebt haben. Ich schöpfe Hoffnung und suche den Weg zur Marienbrücke. Zwei Soldaten halten dort Wache. Sie wollen mich nicht hinüberlassen. »Die Altstadt ist eine Trümmerwüste. Niemand darf hinüber.
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