Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Diese Toten waren noch kenntlich. Später, auf den Pferdefuhrwerken, waren sie es nicht mehr.
Dresden Eine junge Flüchtlingsfrau
Da ich von meinem Mann keine Nachricht bekam, war ich so verzweifelt, daß ich es wagte, nochmals Dresden aufzusuchen. Denn für meinen Säugling hatte ich nicht eine einzige Windel, kein Säckchen usw. Ich wußte ja, daß der Bahnhofskeller, der einem Irrgarten glich, erhalten war; die Menschen waren dort unten nur erstickt. Es war aber dort alles von der SS abgesperrt, denn es herrschte Typhus. Ich erreichte es dann aber doch, daß ich in den Keller durfte, begleitet von einem Bahnbeamten mit einem Arm, der mich warnte und meinte: »Das halten Sie nicht aus; es liegen da unten noch Tausende Tote, und ich kann Ihnen nicht helfen!« Was ich dort unten gesehen habe, ist wahrhaft ein Greuelmärchen, dazu schemenhaft beleuchtet von der Laterne des Bahnmannes. Die Menschen dort unten glichen ledernen Gestalten.
Dresden Ein Soldat
Überall in der Stadt konnten wir die Opfer liegen sehen, mit dem Gesicht nach unten, buchstäblich anden Asphalt festgeklebt, der weich geworden und in der enormen Hitze geschmolzen war. [...]
Ein Kamerad bat mich, ihm bei der Suche nach seiner Frau in der Mosjinskistraße behilflich zu sein. Das Haus war ausgebrannt, als wir dort ankamen. Er rief mehrmals in der Hoffnung, daß die Leute im Keller ihn hören würden. Niemand antwortete. Er wollte die Suche nicht aufgeben und suchte weiter in den Kellern der Nachbarhäuser und riß sogar die verkohlten Leichen aus dem geschmolzenen Asphalt, um zu sehen, ob seine Frau darunter sei.
Vermißten-Nachweis-Zentrale/Dresden Voigt
Nie habe ich geglaubt, daß der Tod in so verschiedener Form an den Menschen herantreten kann, nie habe ich für möglich gehalten, daß Tote in so vielen Gestalten den Gräbern übergeben werden könnten: Verbrannte, Verkohlte, Zerstückelte, Teile von ihnen, als unkenntliche Masse, scheinbar friedlich schlafend, schmerzverzerrt, völlig verkrampft, gekleidet, nackt, in Lumpen gehüllt und als ein kümmerliches Häufchen Asche, darunter Reste verkohlter Knochen. Und über allem der beizende Rauch und der unerträgliche Verwesungsgeruch.
Lindenauplatz Ein Kommandeur
Der Lindenauplatz nahm ein Quadrat von einhundert bis einhundertfünfzig Metern ein; derselbe war in der Mitte mit Gras besät, und dort standen einige Bäume. Ein alter Mann mit seinen zwei Pferden lag inmitten des Platzes, tot. Hunderte von Menschen lagen nackt um ihn herum. Die Straßenbahnhaltestellean der Straße war abgebrannt, aber das ist das bemerkenswerte, nackte Leichen lagen um sie herum. Neben dieser Haltestelle stand eine Wellblech-Bedürfnisanstalt. Im Eingang dieser Bedürfnisanstalt lag eine etwa dreißig- bis fünfunddreißigjährige Frau, vollkommen nackt, auf ihrem Pelzmantel, mit dem Gesicht nach unten; ihr Ausweis, der sie als Berlinerin auswies, lag vor ihr. Einige Schritte weiter lagen zwei Jungen im Alter von acht bis zehn Jahren mit dem Gesicht in die Erde hineingewühlt, ebenfalls vollkommen nackt; die im Knie gebeugten Füße standen noch in der Totenstarre nach oben; sie hielten sich umklammert. In einer umgeworfenen Litfaßsäule staken zwei Leichen, ebenfalls nackt. Wir zwanzig bis dreißig Menschen, die dieses Bild erlebten, klammerten uns aneinander und weinten wie die Kinder. Allem Anschein nach hatten die brennenden Häuser um den Platz herum eine derartige Hitze ausgestrahlt; die Leute hatten sich zu lange in ihren Kellern aufgehalten, und als sie dann endlich herauseilten, überraschte sie die Gluthitze von draußen, und sehr wahrscheinlich sind sie an Sauerstoffmangel gestorben.
Dresden/Stübelallee Ein Schweizer
Der Anblick war so erschütternd, daß ich mich sofort entschloß, meinen Weg nicht durch diese Leichen fortzusetzen. Aus diesem Grunde kehrte ich um und ging in Richtung Großer Garten weiter. Aber hier war es noch schlimmer: Als ich durch die Anlagen ging, sah ich abgerissene Arme und Beine, verstümmelte Körper und Köpfe, die von den Rümpfen abgerissen worden und davongerollt waren. Manchmal lagendie Leichen so dicht, daß ich mir einen Weg bahnen mußte, um nicht auf Arme und Beine zu treten.
Dresden Ein Evakuierter aus Köln
In der Markgraf-Heinrich-Straße sprachen mich drei Männer an (erinnert sich ein Evakuierter aus Köln, der sich in der Stadt aufhielt). Sie trugen zusammen einen schwarzen Mantel, auf dem eine Leiche lag. Einer fragte mich:
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