Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
andere sie aufs neue füllte und auf den Tisch legte. Dann wurde der Gefangene von einem »Pfleger« durch die gegenüberliegende Türe geführt. Kaum war er durchgegangen, da fiel er auch schon tot um. Die restlichen Kleider wurden ihm ausgezogen, und die Leiche wurde dann direkt weiter in den Krematoriumsofen expediert.
Dies hat einer der »Ärzte« im Rausch verraten. Denn getrunken wird natürlich auch. Es ist des öfteren vorgekommen, daß jemand an Methanolvergiftung gestorben ist. Ein Norweger starb dieser Tage auch an einem solchen »Rausch«. Ein anderer wurde beinahe blind. Leider spukt es für die Juden aus Liberose. Ein Teil von ihnen ist schon »ausgesucht« worden. Viele sterben auch »natürlich«. Der arme Wolfberg! Ihr müßt zu Hause grüßen, sagte er. Er wird schon vorbereitet sein.
Mitten in diesem Elend und in dieser Unheimlichkeit existiert immer noch der Sonderbau, das Hurenhaus.
Zehn Mädchen haben sich auf diese Weise »freigekauft« von einer Strafe, die sie schlimmer dünkte. Und als Begleitung zu all dieser »Betriebsamkeit« donnern, quietschen und brüllen die Lautsprecher ringsum im Lager von dem Augenblick an, da wir abends von der Arbeit kommen, bis wir zu Bett gehen. Modernste Operettenmusik, Chorgesang, Militärmärsche, Nachrichten und Propaganda, merkwürdigerweise ab und zu auch wirklich gute Musik: Bach, Beethoven, Brahms, Schubert, Schumann. Aber die Lautsprecher sind so erbärmlich schlecht, daß es eine Qual ist, selbst diese Musik zu hören.
Wir bekommen allmählich »reichlich Platz« im Lager. Seit wir hier sind, war das Lager noch nie so schlecht belegt. Darum soll jetzt etwas umbelegt werden. Alle, mit Ausnahme der Norweger, sollen nach Kommandos geordnet untergebracht werden Wir sollen uns auf zwei Blöcke verteilen, so daß wir anstatt vierhundert nur hundert auf jedem Block sind. Das wird ja das reinste Luxusdasein werden, wenn auch unter normalen Verhältnissen immer noch anderthalb hundert Gefangene zuviel da wären. Ach ja, normale Verhältnisse. Was ist das? Für uns hat sich alles verschoben: die Zeit, der Maßstab und die Begriffe. Es wird schon schwer werden, wieder Häuser für Menschen im normalen Maßstab zu zeichnen.
Dachau Edgar Kupfer-Koberwitz 1906–1991 KZ
Vor drei Wochen lieferte man hier einen Italiener ein, der fünfundzwanzig Jahre in Frankreich gelebt hatte, Turi hiess er. – Er hatte eine schwere Gehirnerschütterung, schlief drei Tage lang, zwei Betten von mir entfernt, kam dann erst langsam zu sich. – Er kann sich nicht erinnern, was ihm geschehen ist.
Jetzt kam ein anderer Italiener von demselben Kommando zu uns, der klärte den Fall auf. – Der Italiener Turi ging, um »Nachschlag« zu holen, und ein anderer Italiener mit ihm. – Der Capo kam dazu und schlug beide mit der Faust nieder. – Der eine fiel unglücklich auf eine Treppenstufe und starb eine halbe Stunde später. – Der Italiener, der hier war, Turi also, blieb leben. – Seltsam ist, dass auch die Ärzte hier nicht wussten, was ihm passiert war, man hielt es für einen Betriebsunfall.
Der Capo, der das tat, Joseph mit Namen (leider konnte ich den Namen nicht ganz erfahren, nur dass er ein Danziger Volksdeutscher sein soll), soll trotzdem sehr ruhig weiter Capo sein und alle terrorisieren. – Er ist ein ehemaliger Legionär der französischen Fremdenlegion, in der er zwölf Jahre lang gedient haben soll. – Er macht angeblich Schiebergeschäfte mit dem dortigen SS-Kommandoführer, und so geht alles gut, er kann ruhig Leute totschlagen, ganz so, wie es in den vergangenen Zeiten der Brauch war. Einen anderen Kameraden soll er vor aller Augen erschlagen haben, weil er einige Minuten zu spät zum Appell kam, – einen Mann von etwa fünfzig Jahren. – Zuerst soll der Kommandoführer den Mann tüchtig geohrfeigt und dann dem Capo erklärt haben: »So, jetzt besorg Du’s ihm!« – Der schlug ihn, bis der Kopf des Mannes gegen eine Lokomotive fiel. – Aber er liess nicht von ihm ab. – Eine Stunde später, oder sofort darnach, sei der so geschlagene Kamerad dann gestorben, der Italiener wusste das nicht mehr genau zusagen. – Und dieser Fall ereignete sich schon vor dem Falle Turi.
(KZ Osterhagen/Harz) Aimé Bonifas *1920
Die meisten Häftlinge sind äußerst mager und schwach. Der Hunger plagt uns mehr denn je. Sobald man sein Stück Brot empfangen hat, muß man es hastig verschlingen. In den Augen glimmt ein tierisches Leuchten. Ein Franzose, der mit
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