Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
der froh war, nun nicht mehr allein zu sein. Nun konnte er sich doch auch mal Gesicht und Hände netzen und einen Schluck tun. Alles Wohltaten nach Entbehrung! ...
Um die Mittagszeit wurde wieder eine Schnitte gegessen. Leider dachte man dann schon bald wieder an die nächste Nacht. Vater schlug vor, nach der Elbe zu gehen, um dort mit dem Leben Schluß zu machen, aber wir zwei machten nicht mit. Also blieben wir alle drei zunächst wo wir waren. Da kam am Nachmittag – es war nun der 15.2. – ein junger Offizier mit paar Soldaten auf den Platz, guckte in unser Büdchen, in dem wir grad saßen und sagte: Wollen Sie denn hier bleiben? Da kümmert sich kein Mensch um Sie. Hier verhungern Sie. Wir: Ja, wohin denn, wenn man schlecht zu Fuß ist und weit und breit Trümmer? Er: Inmitten der Dürerstraße ist eine schmale Gangbahn freigemacht worden. Gehn Sie nach dem Sachsenplatz!Von dort fahren Autos die Menschen aus der Stadt. So machten wir uns auf den für Vater sehr beschwerlichen Weg, gelangten auch zum Sachsenplatz, wo sehr viele Menschen herumstanden und -saßen und auf den Abtransport warteten. Jedes Auto, das vorüberkam, wurde von Militär oder Polizei angehalten, die Fahrer wurden nach woher und wohin befragt und mußten so viele Menschen wie nur möglich mitnehmen. Natürlich füllten sich die Wagen sehr rasch, und wir drei mußten oft wieder zurückbleiben, bis es uns endlich doch gelang, Platz auf einem Radeberger Lastauto zu erobern. Das blieb zwar erst noch 3 Stunden an der zugigen Elbe stehen, bis der Fahrer einen verwundeten Soldaten von der Wiener Straße geholt hatte, aber wir hielten aus auf unseren Holzsäcken, fanden auch zwischen Kisten, Kasten, Koffern und anderen Menschen noch Platz für die Füße. Als es dann wohl in der 10. Stunde doch fortging, waren wir natürlich heilfroh, kamen auch glücklich über die Elbe, durch die Neustadt und die Dresdener Heide nach Radeberg, wo man uns am Auffanglager der Eschebach- Werke absetzte. Man führte uns in den hellen, warmen Speiseraum der Fabrik und setzte jedem eine Schüssel dicke Haferflocken vor, dazu 2 Schnitten mit Wurst und Butter. Kaffee konnten wir auch noch haben. Danach durften wir im Luftschutzkeller schlafen, in dem nach Art der Jugendherbergen immer zwei Betten übereinander standen. Welche Wonne, sich auf den Matratzen wieder mal langlegen zu können, wenn auch in allen Sachen! Decken zum Zudecken gabs auch, und wir schliefen sogar einige Stunden, trotzdem über uns im Maschinensaal durchgehend gearbeitetwurde, es also furchtbar polterte. Aber man wußte ja, das waren keine Bomben.
Dresden Götz Bergander *1927
Nachdem wir die Schäden in unserer Wohnung in der Friedrichstraße soweit beseitigt hatten, daß wir sie wieder betreten konnten, nachdem wir uns im Luftschutzkeller dauerhaft für die Nächte eingerichtet hatten, bin ich am frühen Nachmittag des 15. Februar von Friedrichstadt aus zum Hauptbahnhof gegangen. Das heißt gegangen bis zur Ammonstraße, dann war alles verschüttet. Auf den Bahngleisen, über die Schwellen stolpernd, kam ich weiter voran. Ich wollte wissen, was aus Klassenkameraden geworden war, die in der Nähe des Hauptbahnhofs wohnten und wie es im Bahnhof selbst aussah, in dem ich in den letzten Wochen so oft zur »Flüchtlingsbetreuung« eingesetzt war.
Auf dem Weg dorthin entdeckte ich nur wenige Tote, erinnerlich vor allem ein ausgebranntes Sanitätsfahrzeug auf dem Plauenschen Platz, davor liegend der Sanitäter und eine Frau; ein Mann mitten auf der Hohen Brücke, eine Frau in der Kohlschütter Straße.
In der Bismarckstraße aber, unter der Gütergleisrampe des Hauptbahnhofs, waren die Leichen aufgeschichtet. Ordentlich, Leib für Leib, lagen sie da, fertig zum Abtransport. Leichen jeden Alters und in jedem nur denkbaren Zustand: Nackt und bekleidet, verkrampft und gestreckt, blutverkrustet und fleckenlos, verstümmelt und äußerlich unverletzt. Kinder, die weniger Platz brauchten, zwischen die Erwachsenen gezwängt. Dicke Flüchtlingsfrauen in ihren schwarzen Wolltüchern und Wollstrümpfen. Frauen, ungeschickt hingepackt,bis zur Hälfte entblößt. Männer wie schlaffe graue Säcke. Männer in langen weißen Unterhosen, verdreht, verschränkt, mit und ohne Schuhe. Gesichter mit offenen und geschlossenen Augen. Gelegentlich spießte ein Arm in die Luft oder ein Körper konnte, wegen angezogener Beine, nicht so holzscheitartig eingepaßt werden. Ein wahnwitziges Monument, eine lange Barrikade.
Weitere Kostenlose Bücher