Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
und wenn ich Zeit habe, diskutieren wir über die Lage. Er vertrat bisher immer die Meinung, daß jede Obrigkeit unsern vollen Gehorsam fordern muß, ganz gleich, ob uns das paßt oder nicht, denn mit dem Aufhören des Gehorsams beginne die Herrschaft der Anarchie. Mein Standpunkt dagegen ist, daß eine Obrigkeit, die offen gegen Gottes Gebote verstößt, nicht mehr den von Gott gebotenen Gehorsam verlangen kann, sondern daß es dann berechtigt ist, auf ihren Sturz hinzuarbeiten. Jetzt läßt Harald mein Denken gelten, das ist schon viel. Wir nehmen unsere Verschiedenheiten von der heiteren Seite und necken uns damit.
Brockhöfe/Kreis Uelzen Agnes Seib 1910–1982
Ein unfreundlicher Morgen, aber viel Arbeit macht froh. Morgens mit den ABC-Schützen gearbeitet, nachmittags mit einigen Jungen gebastelt. Abends mit viel Mühe und Magdalenchens Hilfe die Sattlerarbeiten am 1. Rucksack fertig gemacht, nachdem auf Tante Dorles Maschine alle Maschinenarbeit erledigt war. Frau Smitts Zwirn leistete gute Dienste. Auch an der Kaffeemütze für Frau Klipp gearbeitet. Leider abends schon recht von Kopfschmerzen geplagt worden! Erst nach Mitternacht ins Bett.
Washington Julien Green 1900–1998
Mrs. Simpson, bei der ich einige Tage in New York verbrachte, hat »loyale«, das heißt der Regierung der Vereinigten Staaten treue japanische Bedienstete. Deren kleiner Junge, Kazu, ist vier Jahre alt. Ich sah ihn manchmal durch die offene Tür des Korridors, wie er ganz alleine im Zimmer seiner Eltern spielte. Er trug eine Art Kimono, der an der Taille mit einem Stück Stoff zusammengebunden war, und vertrieb sich die Zeit mit einer Eisenbahn oder drehte sich im Kreis und schwenkte schweigend ein amerikanisches Fähnchen. Manchmal murmelte er Worte, die ich nicht verstand. Sein gelbes, trauriges und nachdenkliches Gesichtchen kommt mir hin und wieder in den Sinn. Welche Einsamkeit um ihn herum... Freilich, mit wem sollte er spielen? Ich habe versucht, mit ihm zu sprechen. Er kam barfuß auf mich zu, aber von jäher Scheu erfaßt, rannte er weg.
Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes 1985 Kindersuchdienst UK – 01692 –
weiblich Familienname: unbekannt
Vorname: unbekannt
angenommenes Geburtsdatum: 1 2.4.1944
Fundort: Dresden, nach dem Bombenangriff am 13./ 14.2.1945
Bekleidung: unbekannt
Personenbeschreibung: Braune Augen, mittelblondes Haar, auf der Brust ein 3–4 mm großes Muttermal. Das einzige Wort, welches sie sprechen konnte, war »Issil«.
(Berlin) Rundfunksendung
18’25
Wissenschaftsecho
Beantwortung der Landser-Frage: Warum heißen Frontsoldaten eigentlich Landser?
Wissenschaft auf neuen Wegen. Vivisektion in Farben Gespräch mit Dr. Schulz über die Farberkennung der Bienen (Bericht über die Forschungen Karl von Frischs)
Deutscher KW-Sender (?)
Kurland Der Soldat H. St. *1925
Kino: ›Die Frau meiner Träume.‹
Kurland Der Gefreite Eckart Oestmann *1922
Heute war es kalt. Bei Nordwind und klarem Himmel sank das Thermometer unter Null. Gestern Abend war ich mit dem Leutnant noch beim Stab. Wir hatten Glück, denn im Kasino gab es eine geschlossene Kinovorstellung, an der ich teilnehmen konnte. Es gab den Unterhaltungsfilm »Meine Freundin Josephine«. War ganz belustigend.
Wermelskirchen Der Soldat Heinz Herbst *1921
Donnerstag. Vormittag- und Nachtdienst. Nachmittags Kino »Der Privatdetektiv« – schlecht. Anschließend Spaziergang mit Gustl, Elsi und Friedel. In »Zur Post« netten Abend abgeschlossen. – Dresden angegriffen! Versucht zu telefonieren. Erfolglos. Mit Moni telefoniert.
Aus dem Wehrmachtbericht
Das Vergeltungsfeuer auf London wird fortgesetzt.
Fünfzig Jahre danach
Kollektive Trauer, viel Show und kritische
Zwischentöne
Die Gedenkfeiern in Dresden zur Bombennacht
vor 50 Jahren wurden als Spektakel mit 80
Veranstaltungen inszeniert – »Wo bleibt die Stille?« –
Herzogs passende Worte
Von unserem Redakteur Harald Biskup
Kölner Stadtanzeiger, 14.2.95
Dresden. – Es ist nicht überliefert, wer der Urheber des bösen Wortes von den »Trauerfestspielen« ist. Zu jenen, denen das Gedenken an die Nacht vor 50 Jahren, als Dresden im Feuersturm britischer, kanadischer und amerikanischer Bomben unterging, zu pompös erscheint, gehören jedenfalls Kirchenleute. Sie, die durch die alljährliche Lichterprozession zur Ruine der Frauenkirche den Propaganda-Versuchen der SED vor Jahren mit der Kerze in der Hand ein schlichtes, aber
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