Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
unübersehbares Fanal der Versöhnung entgegengesetzt haben.
Verkommt die kollektive Trauer etwa zu einer Show, zum Medienspektakel, ja womöglich zur wohlfeilen PR-Aktion für den Wiederaufbau des in der Bombennacht in Schutt und Asche zerfallenen Wahrzeichens?
Satelliten-Fahrzeuge und Ü-Wagen
Einer, der sein Unbehagen am Verlauf des offiziellen Gedenkens ganz offen ausspricht, ist Michael Müller, Pfarrer der Kreuzkirche. Vor laufenden Kameras, so meint er, laufe eine Inszenierung ab, die dem Anlaß nicht gerecht werde. Mehr als 80 Veranstaltungen sind in einer Aufstellung des Kulturamtes verzeichnet – Konzerte, Theater, Vorträge, Installationen –, als gelte es, ein Festival auszurichten. Für westliche Maßstäbe, verteidigt der Schriftsteller Peter Grohmann die Programmfülle, sei das doch eher mager.
Seit Tagen beherrschen Satelliten-Fahrzeuge und Ü-Wagen die Gegend um den Kulturpalast, der sich indirekt auch dem Inferno vom Februar 1945 verdankt. Totengedenken im Medienzeitalter setzt eigene Maßstäbe von Würde. Natürlich inspirieren derlei Jahrestage Künstler, und man darf ihnen gewiß nicht von vornherein Profilierungsabsichten unterstellen.
So sind an diesem Tag durchaus kritische Zwischentöne zu dem »Glocken-Requiem« mit 47 Geläuten Dresdner Kirchen am Sonntagabend zu hören, arrangiert von dem aus Dresden stammenden Komponisten Johannes Wallmann. »Wo bleibt die Stille?« hat jemand verzweifelt an eine Wand gekritzelt.
Natürlich will auch der Mann mit dem »Restposten Sonderstempel« sein Scherflein an dem Gedenktag verdienen. Die Schreckensnacht vor 50 Jahren ist in der Stadt allgegenwärtig. An einem Stromkasten beim Goldenen Reiter hat an verbotener Stelle ein unbekannter Lyriker seine Gefühle zum Jahrestag in Worte gefaßt: »Mit Sägen seziert: Der Asphalt, darunter, was Jahre verborgen blieb, Narbengeruch, unsagbarbrennender Wunde steigt auf zu einer Brise Haarausfall...«
Auf den Elbwiesen probieren an diesem sonnigen Februar-Nachmittag Kinder unbeschwert ihre Skateboards aus. Zu Tausenden waren die Dresdner während der »Operation Donnerschlag« aus ihren brennenden Häusern an das Flußufer geflüchtet – in der trügerischen Hoffnung, dort dem Tod entrinnen zu können. Am Nachmittag des Faschings-Dienstags 1945 kam der Angriffsbefehl für »Martha Heinrich Acht«, für die britische Bomber-Staffel, die die prachtvolle Sachsen-Metropole in Schutt und Asche legen sollte.
Etwa zur gleichen Zeit begann gestern im Kulturpalast mit Max Regers »O Mensch, bewein dein Sünde groß«, ausgeführt von der Sing-Akademie Dresden, die zentrale Gedenkfeier.
Die Sicherheitsmaßnahmen sind streng, die Polizei hat ihre Kräfte aus dem gesamten Freistaat zusammengezogen. Man möchte weder rechten noch linken Störenfrieden Gelegenheit zu Selbstdarstellung geben. Dresden gilt als Hochburg von Rechtsradikalen, und oft genug hat die Polizei in der Vergangenheit weggeguckt. Dafür hat diesmal eine dem linksautonomen Umfeld zugerechnete »Antideutsche Gruppe Pola Ester« unübersehbar auf sich aufmerksam gemacht. Auf dem Heidefriedhof, wo gestern vormittag Politiker, Militärs, Prominenz aus Großbritannien und den USA und ganz normale Dresdner Bürger Kränze und Blumen niederlegten, haben die jungen Leute die Botschaft des Mahnmals (»Wieviele starben? Wer kennt die Zahl?«) mit leuchtend roter Farbe »korrigiert«: »Auschwitz, Majdanek, Treblinka – Deutsche TäterInnen sind keine Opfer.«
Roman Herzog, hatte der Schriftsteller Ralph Giordano befürchtet, könne sich womöglich ungewollt in das Lager der »Aufrechner« begeben. Giordano im Vorfeld des Gedenktages: »Entsetzen, Trauer über die Hochofen-Vernichtung Dresdens – ja, aber nicht mit den Apologeten der These ›Deutschland, das ewige Opfer der Geschichte‹. Der Bundespräsident bleibt sich treu und stellt im Duktus seiner Reden im Warschauer Getto und in Auschwitz gleich zu Beginn seiner Rede fest: »Niemandem geht es um Anklage oder Aufrechnung.«
Von seinem Platz im Mittelfeld aus verfolgt einer gespannt die Ausführungen, der in dieser Stunde womöglich ähnliche Akzente gesetzt hätte, obwohl auch anderes aus seinem Munde zu hören war: Justizminister Steffen Heitmann, um den es wieder ziemlich still geworden ist. Nur wer zur »ganzen Geschichte« stehe, sei zur Versöhnung fähig, sagt Herzog. Leben könne man nicht gegen Leben, Schmerz nicht gegen Schmerz, Todesangst nicht gegen Todesangst, Entwürdigung nicht gegen
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