Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
wohlweislich unterschlagen. Sie tut, als habe mit einem Manifest, das nur das klar Notwendige, Vernünftige und Unabwendbare enthält, der Feind »seine Maske fallen lassen« – man möchte wissen, welche Maske –, und dahinter kommt die teuflische Fratze des Juden zum Vorschein – als ob man den Juden brauchte, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß die Ausrottung des monströsesten Unfugs, den die Weltgeschichte kennt, nämlich des Nazismus, eine Notwendigkeit ist, wenn das Leben auf Erden erträglich werden soll.
Es ist ja klar genug: Wie immer das Kommuniqué vonJalta gelautet hätte, schloß es die Zerstörung der Naziherrschaft über Deutschland ein, so war es »die schamlose Enthüllung eines höllischen Mordplans und ein Anschlag auf Menschheit und Menschlichkeit«. So wird es euch Deutschen dargestellt, damit ihr für ein Regime, das euch in dieses Verderben führte, das Letzte, das Über-Letzte tut, in der Meinung, ihr tätet’s für euch. Nie haben diese Schurken an euch, an Deutschland gedacht, sondern immer nur an sich, an die Macht, in der sie sich sielten und mit deren von keiner Gottesfurcht gehemmten Ausübung sie zwölf Jahre lang das Menschenleben schimpfierten. Nie hat ein Volk grausamere Herren gehabt, Machthaber, die erbarmungsloser darauf bestanden, daß Land und Volk mit ihnen zugrunde gehen. Sollen sie nicht mehr sein, so soll es ein Deutschland überhaupt nicht mehr geben. Sie sind es, die es zerstören, sie allein. Bei den Alliierten besteht geringe, jedenfalls scharf kritisierte Neigung, Deutschland zu zerstückeln, es in getrennte, unabhängige Staaten aufzulösen. Wäre das Volk imstande gewesen, wenn auch spät, vielleicht nach der Invasion Frankreichs, die Falle zu sprengen, in die es 1933 gegangen ist, sich seiner desperat spielenden Gewaltherren zu entledigen und Frieden zu schließen, – das Reich wäre wahrscheinlich ungefähr in den Grenzen von 1918 erhalten geblieben, wie Frankreich erhalten blieb nach Napoleons Sturz. Der war wohl ein Tyrann und auch ein Emporkömmling; aber er hatte ein Interesse an seinem Lande, an dessen Zukunft und Fortleben. Als er geschlagen war, endgültig geschlagen, räumte er den Thron, trat ab, gab sich gefangen und vermachte so dem Diplomaten, den er haßte, Talleyrand,die Möglichkeit, in Wien für Frankreich das Erreichbare herauszuschlagen. Anders unsere Heroen. Indem sie das unglückliche Volk zwingen, den Krieg, den sie ruchlos begonnen, weit über seinen endgültigen Verlust hinaus bis in den Wahnsinn hinein, bis ins äußerste Verderben fortzusetzen, werden sie bewirken, daß Deutschland, erschöpft und verrottet, in Stücke fällt, die vielleicht nie wieder zusammenfinden. Gemeinere Hochverräter an ihrem Lande gab es nie, als diese Nationalisten. Ein Fluch wird ihnen nachgellen, wie noch keinem, der den Sinn eines großen Volkes verwirrte und gewissenlos dessen Kräfte mißbrauchte.
London Die Museumsangestellte M. Cossins
Ein wirklich wundervoller Tag. Zunächst einmal war da mein gemeinsames Mittagessen mit J., der in meinen Augen immerzu wundervoll ist. Schon der Umstand, daß wir hier leben, in der kriegsgeschädigten City, die Mauerreste der Wren-Kirche, die Blumen, die im Sommer in der Ruine wachsen, die kleine Kapelle im Turm der St. Lawrence Brauerei, der einzige noch nicht zerstörte Teil, den ich so oft besuche. Ganze Gegenden verwüsteter Landstriche, wo der Wind so frisch + frei darüber hinwegfährt. Das alles erscheint mir wundersam, so als hätte ich einen ganz und gar außergewöhnlichen Alptraum überlebt.
Nach dem Mittagessen bei Hill’s ging ich nach The Temple [Viertel im Osten von London] und zur Wohnung von Miss Allin, durch ein düsteres Treppenhaus ganz nach oben. In einer langen Besichtigungstour besuchten wir dann jeden kleinen Winkel ihres alten Zuhausesin den Lamt-Häusern, von dem sie mir als allererstes ein Photo zeigte, das so friedlich aussah, gehüllt in warmes Sonnenlicht, es strahlte eine wunderschöne Ruhe aus. Jetzt ist es nur noch ein grauenhafter Haufen Schutt und Asche, mit einigen Fensterrahmen im ersten Stock. Mir erschienen diese Ruinen sehr unheimlich, so als wenn das erschreckende Böse, das hier zu Gast war, noch immer in ihnen steckt. Es ist wirklich nicht sehr einfach zu glauben, daß das, was man sieht, die Wirklichkeit ist.
Sie zeigte mir ein Gebäude, in dem vier Morde verübt wurden, von einer Putzfrau, drei davon, um den ersten Mord an ihrem Dienstherren zu vertuschen.
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