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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Außerdem zeigte sie mir sämtliche Orte, an denen es spukt. Erst vor einiger Zeit, so ungefähr vor drei Wochen, wurde dort ein sterbender Mann gefunden, dem ein Ohr abgeschnitten war, er lag in der Middle Temple Lane, es wird vermutet, daß er dort hingeschafft wurde. Es gibt hier keine Wachen mehr und jeder kann nachts dort eindringen. Hier sind wirklich einige Teile sehr düster; mit, wie sie sagt, »einer düsteren Atmosphäre«, an die sie sich jedoch gewöhnt habe.
    Danach tranken wir Tee zusammen, in einem reizenden, aber schlecht getäfelten Zimmer. Sie hat einige schöne Stücke alten Porzellans + Möbel. Ein rumänisches Mädchen, das zur Zeit bei ihr wohnt, war auch da. Sie wird aber in Kürze ausziehen, da Mrs. A. behauptet, sie sei nachts eine bezahlte Schande.
    Alles in allem ein unvergeßlicher Tag.
     
    Sheffield Nancy Usher *1902
    Sosehr ich den Mann hasse, ich glaube, Goebbels hat ein Recht darauf, es uns zu geben, wie er es jetzt tut, weil wir unfähig sind, die Deutschen zu zerschlagen. Es ist wahr, wenn er sagt, daß wir schon monatelang von allen Seiten und aus der Luft auf sie einschlagen, und noch immer wollen sie sich nicht ergeben. Das scheint durch den Bericht des BBC-Korrespondenten gestern Abend im Rundfunk bestätigt worden zu sein. Ich habe gesagt, und ich sage es jetzt, daß ich nicht begreife, wie die Deutschen alles aushalten, was wir tun – solchen Fanatismus hat es mit Sicherheit niemals vorher in der Geschichte gegeben.
    Ich bin froh, daß die Stärke unserer Angriffe auf Japan zunimmt, weil wir vermutlich so lange auf sie losgehen müssen, bis sie sich ergeben.
    Neben unseren Wohnungen war ein großer, freier, ebener Platz. Vor einigen Jahren wurde es ein Schrottplatz der Regierung für alle Arten von Motorfahrzeugen, von Bussen bis zu Jeeps. Jeden Tag brennen nun riesige Feuer von Sachen, die brennbar und wertlos sind. Tausende von Wohnungen können kein Brennmaterial bekommen, aber ein Müllplatz der Regierung kann Wärme in die Luft blasen, die für Leben und Gesundheit der Leute in der Umgebung benötigt wird.
    Wo waren die weiblichen Parlamentsmitglieder, als die Regierung beschloß, daß Familienbeihilfe an den Vater gezahlt werden soll? Was für eine skandalöse Angelegenheit. Es zeigt, daß Frauen immer noch als gehirnlose Schwachköpfe angesehen werden, wohingegen sie in der Mehrheit gute Manager sind, die ihre Familien mit einer Summe Geldes gut durchbringen,mit der sie jonglieren und planen müssen, damit sie reicht. Ach... Manchmal verzweifle ich an der Welt. Ich hörte gestern nachmittag in den Europanachrichten, daß die italienischen Frauen endlich das Wahlrecht haben, was in ihrer Presse sehr gemischt aufgenommen wurde. Naja, das ist etwas, das im Rahmen der Entwicklung sein muß, daher ist es nicht wichtig, was die von Männern beherrschte Presse zu sagen hat oder die rückständigen Frauen, die in Wirklichkeit noch schlimmer sind als die Männer.
     
    Montagnola Hermann Hesse 1 877–1962
    An seine Leser [veröffentlicht in der »Weltwoche«, Zürich]
    Warum kommen im »Glasperlenspiel« keine Frauen vor?
    Diese Frage ist mir in Briefen des öfteren gestellt worden, ohne daß ich Lust gehabt hätte, sie zu beantworten. Denn die Leser, welche solche Fragen stellen, haben meistens die erste der Spielregeln beim Lesen nicht eingehalten: das zu lesen und anzunehmen, was da steht, und es nicht an dem zu messen, was man selber etwa gedacht und erwartet hat. Wer vor einem Krokus in der Wiese sich mit der Frage beschäftigt, warum statt des Krokus nun hier nicht eine Palme stehe, der ist vermutlich kein sehr inniger Blumenfreund.
    Aber jede Regel erlebt Fälle, wo sie nicht mehr gilt. Und so passierte es mir, daß eben jene bald neugierige, bald vorwurfsvolle Frage nach dem Fehlen der Frauen im Glasperlenspiel mir von einer Leserin gestellt wurde, deren Brief im übrigen eine sehr feine geistige Witterung verriet. Jedenfalls wurde er von mir so ernst genommen,daß ich mich diesmal der Frage nicht entziehen konnte. Ich gab eine kurze Antwort, und weil jene Frage sich so manchmal wiederholt hat, teile ich die Stelle aus meinem Antwortbriefe mit. Sie lautet: Ihr Frage ist kaum zu beantworten. Ich könnte natürlich Gründe angeben, aber sie wären nur vordergründig. Eine Dichtung entsteht nicht einzig aus Bedachtem und Gewolltem, sondern zu großen Teilen auch aus tieferen Gründen, die der Autor selbst nicht sieht oder höchstens ahnt.
    Ich würde raten, es etwa so

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