Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Städten, nun – vielleicht kurz vorm Kriegsende wurdest du schlimmer zugerichtet als alle andern deutschen Städte. Tausende, über deren Ende niemals ein Mensch Zeugnis geben kann, liegen noch unter den Trümmerhaufen deineralten und neuen Straßen. Dresden ist nicht mehr. Bliebe uns doch die Hoffnung, daß es einmal neu erstehen könnte. Aber Dresden ohne seine Kirchen und ohne seine alten Häuser am Altmarkt ist eigentlich kein Dresden mehr. Wir haben von dieser Stadt schon Abschied genommen, und wenn wir heute oder morgen auf die Landstraße müssen, lassen wir dem Feind nur das Werk seiner Vernichtung. Und doch fiele es uns so schwer, fortzugehen! Jeden Abend genieße ich den Vorfrühling, der hier an den Lößnitzhöhen besonders schön ist. Auch dieser Vorort, in dem wir durch die freundliche, großzügige Aufnahme Dr. Gerhards Unterschlupf gefunden haben, ist noch ein Stück unserer geliebten Stadt. Könnten wir doch den Frühling hier verleben, wir wollten nicht um unser Verlorenes klagen, sondern uns an dem schönen Garten, an der großen Terrasse und am Sonnenschein freuen. Aber leider, leider wird es wohl nicht so weit kommen. Ganz langsam aber stetig wächst das Russengespenst an. Kaum, daß wir uns ein wenig von den Schreckenstagen und den folgenden arbeitsreichen Wochen erholt haben, geht es wieder ans Packen und an Fluchtvorbereitungen. Es ist ein aufreibendes Dasein! Die Abendstunden in Gerhards gemütlicher Sesselecke, unser Zusammensein ist die Sehnsucht meines ganzen Arbeitstags und die einzige Freude, die ich recht genießen kann.
Dresden Götz Bergander *1927
Trotz des erlittenen Schocks startete ich am nächsten Tag mit meinem jüngeren Bruder zur Anton-Graff-Straße, um nach guten Familienfreunden zu suchen.
Die Strecke war Friedrichstraße, Ostra-Allee, Postplatz, Wallstraße – diese war nur kletternd zu passieren, Ringstraße, Georgplatz, Bürgerwiese, Lennestraße/Großer Garten, Stübelplatz, Canalettostraße, Fürstenplatz. Ich wartete angsterfüllt auf neue Leichenberge, ging in der frisch erstarrten Vernichtung in hochgespannt abwehrbereiter seelischer Erwartung, aber der erneute Schock blieb aus. Überall kletterten Menschen über die Geröllmassen, man kam sich nicht so allein vor. Tote fand ich erst in der Kreuzschule, wo ein Junge in der Vorhalle lehnte, und in der Bürgerwiese, wie hingeworfen zwischen Gasmasken, Helmen, Koffern, Decken, kaputten Fahrrädern und Autos. Unsere Freunde hatten überlebt. Wir wanderten zurück über die Fürstenstraße, wo die britischen Kriegsgefangenen Leichen zusammentrugen, bis zur Vogelwiese. Ich untersuchte meine alte Flakstellung, in der ich als Luftwaffenhelfer stationiert gewesen war und bemerkte, daß Geschütz »Anton« einen Treffer im Deckungswall hatte, aber die Stellung war ja leer.
Auf dem langen Weg übers Hindenburgufer zum Terrassenufer herrschte nur spärlicher Verkehr. Ich suchte nach der Kuppel der Frauenkirche. Sie fehlte. Wir warfen einen Blick durch die Bogenöffnung in der Brühlschen Terrasse in die zur Frauenkirche führende Münzgasse. An deren Ende türmten sich die Gesteinsbrocken des Kuppelbaues. Ungeachtet der deprimierenden Eindrücke dieses 16-Kilometer-Marsches durch die totale Verwüstung gab mir dieser Anblick den Rest, begriff ich wohl erst jetzt die Bedeutung des Bombardements in seiner vollen Tragweite.
Dresden Liesbeth Flade
Am Freitag, dem 1 6. Februar, früh halb 7 Uhr, als ich eben aus dem Luftschutzkeller kam, wo ich wieder geschlafen hatte (was man so schlafen nennt: in den Kleidern auf einem Liegestuhl), stand Ulla vor unseren Trümmern. Als sie die Nachricht von dem schweren Angriff auf Dresden bekam, hatte sie sich sofort auf die Bahn gesetzt. Um bis zu uns vorzudringen, hatte sie zwei Tage gebraucht, aufgehalten durch Tieffliegerangriffe auf die Bahnstrecke und den Zug, durch die Bombardierung des Leipziger Hauptbahnhofs und schließlich das mühselige Vordringen in stundenlangem Fußmarsch von Coswig hinein nach Dresden, und dort durch die immer noch brennenden Häuserzeilen, Leichenberge, Polizeisperren über die einzige noch intakte Elbbrücke. Ulla kam mir als ein rettender Engel – es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich eigentlich völlig apathisch war. Ich saß in unserem Keller zwischen unseren Sachen, mir war alles gleich, Ulla packte energisch zu und steckte das Allernötigste in den Bastkorb. Ob ich mit ihr allein oder mit Vati zusammen den langen, langen Weg zu Oma
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