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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Tischen und Stühlen. Dort fand uns Tante Dore bei ihrer Rückkehr und meldete: Kommt nur gleich mit! Unten steht Lotte Garten und wartet auf euch mit Leiterwagen. Wir überlegten es uns natürlich nicht lange, sondern brachen ohne weiteres auf, begrüßten uns mit Lotte kurz, doch herzlich, setzten Vater auf eine Decke in den Wagen. Zwei andere dienten zum Zudecken. Lotte zog, Tante Dore und ich gingen neben dem Wagen. So hielten wir ausgebombten Flüchtlinge unseren Einzug in Liegau. Viele mitleidige Blicke trafen uns, und wir waren froh, als der Weg hinter uns lag; für Tante Dore das dritte Mal an diesem Tage! Bei Lotte kamen wir in eine nette, saubere Wohnküche, wo schon der Kaffeetisch gedeckt war. Aber wir baten erst um warmes Wasser, Seife usw. und reinigten uns mit Wonne erst mal richtig. Vater hatte ja noch dazu den vielen Ruß im Gesicht gehabt. Aber dann aßen wir tüchtig von den uns angebotenen Semmeln mit Butter und schöner Marmelade und tranken Kaffee. Es war nun schon Nachmittag geworden. Das Mittagessen hatten wir ja wegen unseres plötzlichen Aufbruches ausfallen lassen. Dabei wurde nun natürlich gegenseitig viel gefragt und erzählt. Tante Dore sollte noch bei Lotte bleiben, die am gleichen Vormittag schon eine alte Tante mit verheirateter Tochter aufgenommen hatte. Vater und ich sollten bei Lottes Bruder, Helmut Godtknecht, wohnen, der uns dann auch abholte. Seine Frau hatte inzwischen das Schlafzimmer schön für uns hergerichtet, die Betten frisch bezogen usw. Gastbettenhatten sie nicht, aber sie stellten uns mit der größten Selbstverständlichkeit in aufopfernder Weise ihre eigenen zur Verfügung und schliefen selber auf Sofa und Ottomane in Wohnzimmer und Küche.
     
    Radebeul Eva Schließer
    Endlich, am zeitigen Nachmittag des 16.2. war es so weit. Mit einem vollbeladenen Wagen und einem organisierten Karren fuhren wir nach Radebeul hinaus. Hier machten wir bei Madaus Station, wo auch der erwartete freundliche Empfang nicht ausblieb. Das Schönste: Wir konnten uns duschen. Nein, so ein Dreck! Meine Hände brauchten noch lange, bis sie wieder manierlich wurden. Im Labor wurden wir dann von Dr. Kuhn freundlich bewirtet. Ja, wir trafen hier sogar mit Ulla aus Dessau zusammen, die in Dresden nach uns sehen wollte und hier am neuen Verkehrsknotenpunkt Radebeul herausmußte.
    Nach dieser Stärkung machte sich unsere kleine Karawane nach der Hoflößnitzstraße auf. Hier winkte nach den unendlichen Mühen der vergangenen Tage endlich Ruhe, Rast und Erholung. Wir waren nicht die einzigen, die nach dem paradiesisch stillen Radebeul hinauszogen. Auf Lastwagen, mit Rädern, Karren und zu Fuß mit Rucksäcken und Taschen beladen zogen die verängstigten Menschen hinaus zur Peripherie der Stadt. Unter ihnen waren wir durchaus nicht die Ärmsten. Wie viele hatten kein Ziel und besaßen nicht mehr als das, was sie auf dem Leibe trugen. Viele Tausende hatten ihre liebsten Angehörigen verloren. Wir wußten unsere nächsten Angehörigen gottlob unversehrt und waren selbst ohne gesundheitlichen Schaden
    geblieben. Wie unendlich groß dieses Glück für uns war, kann nur der ermessen, der einen solchen Bombenhagel über sich ergehen lassen mußte. Alle materiellen Wünsche werden in diesen Schreckensminuten ganz klein. Nur leben, leben und gesund bleiben! Als wir bei dem 2. Angriff meinten, unser Haus wäre zusammengestürzt, hat uns das durchaus nicht mit Trauer bewegt. Wir waren viel zu froh, daß wir noch lebten. Und so ging es fürs erste allen, die diesen Schreckensnächten entronnen waren. Weinen könnte ich nur, wenn ich daran denke, daß unsere einmalige herrliche Frauenkirche bis auf die Grundmauern zerstört ist, daß auch an den Wunderwerken des Zwingers und der Hofkirche das Vernichtungswerk gleichgültiger, kulturloser Menschen nicht vorüberging. Manchmal bin ich ganz fassungslos, daß so etwas überhaupt möglich ist. Soll ich nie wieder von der Marienbrücke aus das unsagbar schöne Stadtbild, die grünen Patinadächer im Abendlicht leuchten sehen? Ist diese einmalige musische Atmosphäre, die durch Dresdens Straßen zog und über seinen Plätzen lag, mit seinen weißen Schiffen den Elbestrom bewegte, die in allen Herzen echter Dresdner schwang und weit in die schöne Umgebung dieser wundervollen Stadt ausstrahlte, nun wirklich dahin? Dresden, unser liebes, liebes armes Dresden, was ist aus dir geworden? Du warst 5 Kriegsjahre hindurch die beneidete Friedensinsel unter den deutschen

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