Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Schriftrollen und deren röhrenförmige Behälter türmten. Er fand den erneuerten Dienstplan, der vor Beginn eines jeden Monats erstellt wurde. Morgen war der erste Mai.
Warum hatte er überhaupt darüber nachgedacht, ihr zu verraten, warum er Gott verfluchte?
Die meisten Menschen waren dumm, aber er war nicht daran gewöhnt, zu ihnen zu gehören.
Er las den Dienstplan durch. Einunddreißig Lanzen – nein, dreißig, denn Hugo war tot, und so war seine Lanze zerbrochen. Er brauchte einen guten Ersatzkämpfer, aber hier in der Beinahe-Wildnis würde er wohl kaum einen finden. Doch vielleicht gab es örtliche Ritter – jüngere Söhne, die nach Ruhm strebten oder ein wenig Geld brauchten oder die vor einer Schwangerschaft davonliefen.
Die vielen Papiere ermüdeten ihn. Aber er brauchte mehr Männer, und da war noch die Wildnis, über die er nachdenken musste.
»Ich muss mit Tom Schlimm sprechen, sobald es ihm besser geht. Und mit den Bogenschützen von der letzten Nacht auch. Wer war der Älteste?«, fragte er.
Michael holte tief Luft. Der Hauptmann wusste, dass er mit diesem Atemholen die Schmerzgrenze berühren wollte, denn er hatte selbst schon viele Rippenbrüche erlitten.
»Langpfote war der Älteste. Er ist wach – ich habe ihn essen sehen.«
Der Hauptmann hob die Hand. »Ich werde ihn zusammen mit Tom befragen – falls der schon den Krankensaal verlassen kann.« In seiner Hand pochte es. Er setzte seine Initialen unter die Dienstliste. »Hol sie her, bitte.«
Michael zögerte, und der Hauptmann schluckte einen Seufzer der Verärgerung herunter. »Ja?«
»Was … was ist in der letzten Nacht passiert?«, wollte Michael wissen. »Die Männer haben das Gefühl, dass wir einen großen Sieg errungen haben, aber ich weiß nicht einmal, was wir eigentlich getan haben. Außer dem Töten der Lindwürmer natürlich«, sagte er mit der natürlichen Herablassung der Jugend.
Am liebsten hätte ihm der Hauptmann zugeschrien: Wir haben zwei Lindwürmer getötet, du nutzloser Geck! Aber er verstand die Haltung des Jungen, auch wenn sie unausgesprochen blieb.
Der Hauptmann setzte sich vorsichtig auf einen hochlehnigen Klappstuhl, der aus einer Reihe von miteinander verbundenen Bögen bestand. Es war ein wunderschöner Stuhl mit einem roten Samtkissen, das ihn willkommen hieß, und er lehnte sich zurück. »Fragst du das als der Lehrling des Hauptmanns? Oder als mein Knappe?«
Michael hob eine Braue. »Ich bin der Lehrling des Hauptmanns.«
Der Hauptmann schenkte dem Jungen ein schwaches Lächeln. »Gut. Dann sage mir, was wir deiner Meinung nach getan haben.«
Michael schnaubte verächtlich. »Das habe ich kommen sehen. Also gut. Den ganzen Tag über haben wir Patrouillen ausgesandt, um die Bauern herbeizuholen. Zuerst ist es mir nicht klar gewesen, aber tatsächlich sind mehr Patrouillen ausgezogen als zurückgekommen.«
Der Hauptmann nickte. »Gut. Ja. Wir werden die ganze Zeit hindurch beobachtet. Aber die Kreaturen, die uns ausspähen, sind nicht besonders schlau. Besitzt du ein wenig Macht?«
Michael zuckte die Achseln. »Ich habe sie studiert, aber ich kann unmöglich all die Bilder in meinem Kopf behalten. All die Phantasmata.«
»Wenn du ein Tier einfängst und es deinem Willen unterwirfst, kannst du durch seine Augen sehen. Das ist ein mächtiges Phantasma, aber es benötigt sehr viel Kraft. Denn zuerst musst du den Willen einer anderen Kreatur überwinden – das ist äußerst anstrengend –, und dann musst du sie lenken . Und in unserem Fall musst du es über eine große Entfernung hinweg tun.«
Michael lauschte gefesselt. Sogar Ser Adrian hatte aufgehört zu schreiben.
Der Hauptmann warf ihm einen Blick zu, und der Schreiber schüttelte den Kopf und machte sich daran aufzustehen. »Entschuldigung«, murmelte er. »Nie redet jemand über solche Sachen.«
Der Hauptmann entspannte sich. »Bleibt hier. Es ist ein Teil unseres Lebens und unserer Art der Kriegsführung. Wir benutzen Späher, weil wir keinen Magus zur Hand haben, der Vögel einsetzen könnte. Selbst wenn wir einen hätten, würde ich lieber menschliche Späher nehmen. Sie können beobachten und Bericht erstatten, sie können die Stärke der feindlichen Kräfte abschätzen und mitteilen, ob sie immer dieselben Pferde sehen oder nicht. Ein Vogel kann diese Dinge nicht abschätzen, und die Wahrnehmung des Magiers durch die Augen des Vogels wird … gefiltert.« Der Hauptmann ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht, was es ist,
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