Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
erscheinen.
De Vrailly ist verrückt, dachte Gaston.
»Ser Ritter, Ihr müsst Euch erklären«, sagte der König.
De Vrailly hob beide Brauen. »Ich bin ein Lord und habe das Hochgericht, das mittlere Gericht und das Niedergericht hier in meiner Schwertscheide. Ich brauche nicht die Erlaubnis eines anderen Mannes, um jemandem das Leben zu nehmen. Ich habe mehr Bauernkaten niedergebrannt, als ein Junge Fliegenflügel auszupfen kann.« De Vrailly schüttelte den Kopf. »Auf mein Wort, Euer Gnaden, der Mann hat die gerechte Strafe für seine Dummheit erhalten. Ich will nichts mehr darüber hören.«
Der Schulze legte die Hände auf den Knauf seines Sattels, als müsse er sich abstützen. »So was hab ich ja noch nie zu Ohren bekommen! Hört mir zu, Euer Gnaden, dieser aufgeblasene Fremde, dieser sogenannte Ritter hat auch zwei Knappen von Ser Gawin Murien getötet und mich, als ich mich ihm entgegengestellt habe, schlagen lassen. Ich wurde in einen Schuppen geworfen und gefesselt. Als ich endlich befreit wurde, brannte die Herberge bereits.«
Gaston lenkte sein Pferd in die aufgebrachte Gruppe. »Deine Worte beweisen keineswegs die Schuld meines Herrn«, beharrte er. »Du hast nichts davon mit eigenen Augen beobachtet, und doch stellst du es als Wahrheit dar.«
»Ihr wart derjenige, der mich geschlagen hat!«, sagte der Schulze.
Gaston musste sich beherrschen, um nicht mit den Schultern zu zucken. Du bist ein nichtsnutziger, untüchtiger Mann und eine Schande für deinen König – und du hast mir im Weg gestanden. Aber er lächelte, warf dem König einen kurzen Blick zu und streckte die Hand aus. »Dafür entschuldige ich mich. Mein Vetter und ich waren gerade erst in Eurem Lande angekommen und verstanden die Gesetze in diesem Teil der Welt noch nicht.«
Der König befand sich in einer verzwickten Lage. In seinem Innern kämpften ganz unterschiedliche Gefühle, Notwendigkeiten und Ziele um die Herrschaft, und seine Unentschiedenheit zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab. Er brauchte Jean de Vraillys dreihundert Ritter, aber er musste vor den Augen der anderen Gerechtigkeit walten lassen. Gaston versuchte, den Schulzen mit seinem Willen dazu zu bringen, ihm die Hand zu geben. Der König schien es ebenfalls zu versuchen.
»Messire, mein Vetter und ich haben uns dem König angeschlossen, um gegen die Wildnis ins Feld zu ziehen.« Gastons Stimme war leise, drängend und dennoch besänftigend. »Ich bitte Euch untertänigst um Vergebung, bevor wir in die Schlacht ziehen.«
Gaston betete, dass der König in diesem Moment keinen Blick auf seinen Vetter warf, dessen Miene bei dem Wort »Vergebung« ausgereicht hätte, um Milch sauer werden zu lassen.
Der Schulze schnaubte verächtlich.
Der König entspannte sich allmählich.
Wie gegen seinen Willen ergriff der Schulze von Lorica Gastons Hand und schüttelte sie. Dabei ließ er seinen Handschuh an, was sehr grob war. Und sah Gaston nicht in die Augen.
Der König nutzte die Gelegenheit. »Ihr werdet Wiedergutmachung an die Stadt und den Wirt leisten«, sagte er. »Die Summe wird sich nach dem vollen Wert des Hauses sowie all seiner Güter bemessen. Der Schulze wird den Wert feststellen und Euch eine Nachricht schicken.« Der König drehte sich im Sattel und sprach den Captal de Ruth an. »Ihr, der Ihr Eure Bereitschaft erklärt habt, mir zu dienen, werdet mir zunächst in dieser Hinsicht gehorchen: Euer Lohn und der Eurer Ritter wird statt des Strafgeldes unmittelbar an den Herbergswirt und die Stadt bezahlt, bis der Wert, den der Schulze errechnen wird, erreicht ist.«
Jean de Vrailly saß auf seinem Pferd; sein wunderschönes Gesicht wirkte ruhig und friedlich. Nur Gaston wusste, dass er in diesem Augenblick überlegte, ob er den König töten sollte.
»Wir …«, begann er. Der König drehte sich im Sattel um und zeigte ein wenig von der Biegsamkeit, die er bereits im Turnier unter Beweis gestellt hatte.
»Lasst den Captal doch für sich selbst sprechen«, sagte der König. »Ihr seid sehr gewandt in der Verteidigung Eures Vetters, Mylord, aber ich muss sein Einverständnis von ihm persönlich hören.«
Er ist sehr geschickt darin, dachte Gaston. Er versteht meinen Vetter besser als die meisten Menschen, und er hat einen Weg gefunden, ihn zu bestrafen und ihn gleichzeitig bei sich zu behalten und seine Fähigkeiten gegen die Feinde des Königs einzusetzen. Jean und sein Engel werden diesen König nicht innerhalb eines einzigen Nachmittags erobern
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