Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
den heiligen Hain fällen lassen? Haben Eure Bauern die Dryaden vergewaltigt? Bei allem, was Euch heilig ist, Äbtissin, wenn Ihr mir nicht helft, das alles zu verstehen, werden wir hier sterben. Das ist eine vollständige Invasion, und zwar die erste, die es seit Eurer Geburt gibt. Woher sind sie gekommen? Ist der Norden gefallen? Warum ist die Wildnis in solcher Stärke hierhergezogen? Ich bin mit der Mauer aufgewachsen. Ich bin in Hinterwaller-Dörfern gewesen und habe gegessen, was sie essen. Es sind viel mehr, als wir zuzugeben bereit sind – Zehntausende sind das. Wenn sie alle die Wildnis unmittelbar unterstützen, werden wir in einem Meer aus Feinden weggespült werden. Was genau geht hier vor?«
Die Äbtissin holte tief Luft, als wollte sie sich stärken, dann hob sie eine Braue. »Wirklich, Hauptmann, ich weiß nicht mehr als Ihr. Ich verstehe die Handlungen der Wilden nicht. Und die Wildnis ist doch bloß ein Name, den wir der Gesamtheit des Bösen geben, nicht wahr? Reicht es nicht aus, dass wir heilig sind und uns selbst, unseren Gott und unsere Lebensart zu erhalten versuchen? Wollen sie uns das alles wegnehmen?«
Der Hauptmann sah sie eindringlich an und schüttelte den Kopf. »Ihr wisst mehr. Mit der Wildnis verhält es sich nicht so einfach.«
»Sie hasst uns«, sagte die Äbtissin.
»Aber es gibt keinen Grund, gerade jetzt gegen Euch aufzumarschieren«, erwiderte der Hauptmann.
»Östlich von Albinkirk gibt es verbrannte Bäume und neu angelegte Felder«, sagte Pampe.
Die Äbtissin drehte sich zu ihr um, als wollte sie die Frau zurechtweisen, aber sie zuckte nur mit den Schultern. »Wir müssen uns ausdehnen, weil unser Volk wächst. Es sind mehr Mäuler zu stopfen, und deshalb werden mehr Äcker benötigt.«
Der Hauptmann sah Pampe an. »Wie viele verbrannte Bäume? Ich erinnere mich nicht an sie.«
»Sie stehen auch nicht unmittelbar an der Straße. Ich weiß es nicht. Fragt Gelfred.«
»Sie gehen bis Albinkirk«, gab die Äbtissin zu. »Wir waren damit einverstanden, dass sie den Wald brandroden und sich neue Bauern ansiedeln. Warum auch nicht? Das war die Politik des alten Königs, und wir brauchen das Land.«
Der Hauptmann nickte. »Das war in der Tat die Politik des alten Königs, und sie hat zur Schlacht von Chevin geführt.« Er rieb sich den Bart. »Ich hoffe, dass einer meiner Boten es bis zum König geschafft hat, denn jetzt stecken wir in einem ziemlich großen Misthaufen.«
Michael kam mit Weinbechern herbei. Er wurde sehr rot, als er die Äbtissin sah.
Der Hauptmann blickte ihn an. »Ich brauche alle Offiziere, Michael. Hol auch Ser Milus von der Brückenburg hierher.«
Michael seufzte, servierte den Wein und ging wieder.
Die Äbtissin schürzte die Lippen. »Ihr wollt uns doch nicht etwa verlassen?«, fragte sie.
Der Hauptmann schaute durch das Fenster nach Westen. »Nein, Mylady, das will ich nicht. Aber es muss Euch klar gewesen sein, dass es eine Reaktion der Wildnis geben wird.«
Sie schüttelte den Kopf; Wut und Enttäuschung kämpften in ihr um die Oberherrschaft. »Beim heiligen Thomas und beim heiligen Mauritius, Hauptmann, Ihr rügt mich zu schwer. Ich habe nur das getan, was mein Recht, ja sogar meine Pflicht ist. Die Wildnis war geschlagen – das haben mir wenigstens der Wirt und der König gesagt. Warum sollte ich meine Ländereien nicht auf Kosten einiger alter Bäume ausdehnen? Und als die Morde begannen … Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie damit in Verbindung stehen. Erst als …«
Der Hauptmann beugte sich vor. »Ich will Euch sagen, was ich denke«, meinte er. »Hawisia hat einen Verräter enttarnt und ist dafür gestorben.«
Die Äbtissin nickte. »Das wäre möglich. Sie hatte darum gebeten, in die Außengebiete gehen zu dürfen, wobei das eigentlich meine Pflicht gewesen wäre.«
»War sie Eure Cellerarin? Hat sie die Stellung bekleidet, die jetzt Schwester Miram innehat?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Sie hatte zwar mehr Macht als die anderen Schwestern, aber sie war zu jung, um schon ein Amt zu bekleiden.«
»Und sie war nicht gut gelitten«, sagte Pampe.
Die Äbtissin zuckte zusammen, erwiderte aber nichts darauf.
Der Hauptmann stützte den Kopf in die Hände. »Egal. Wir sind jetzt hier, genau wie der Feind. Ich vermute, dass die Wildbuben, die Dämonen oder beide Euch töten und die Abtei in einem Handstreich einnehmen wollten. Hawisia hat das irgendwie verhindert, entweder weil sie dem Verräter entgegengetreten
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