Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
legte er die Hand auf den Hals seines Kriegsrosses. »Du musst dich nicht beeilen, Bess«, sagte er.
Es war leicht, den Spuren zu folgen. Die Goldene Bärin hatte auf den nächsten Wald zugehalten, so wie jedes Geschöpf der Wildnis es tun würde. Er machte sich nicht die Mühe, der Spur haargenau zu folgen, sondern ritt einfach dahin und untersuchte von Zeit zu Zeit den Boden. Es war ihm zu warm in seiner vollen Rüstung, doch der Alarmruf hatte ihn im Übungshof erreicht, und er hatte sich nicht mehr umkleiden können.
Der Wein sang in seinen Adern. Er wollte auch den Rest trinken.
Das tote Kind …
Die Fetzen des toten Bärenjungen …
Als er selbst noch den Katechismus gelernt und als Knappe im Gefolge seines Ritters gedient hatte, hatte der immer gesagt: Zuerst tötet der Krieg die Unschuldigen.
Dort, wo die Stoppeln des Weizens vom letzten Jahr in verfilztes Gebüsch übergingen, sah er das Loch, das die Bärin in die Hecke gebrochen hatte. Er hielt an.
Er hatte keine Lanze dabei; eine Lanze war die beste Waffe im Umgang mit einem Bären.
Er zog sein Kriegsschwert, doch trieb er Bess nicht durch das Loch in der Hecke.
Er ritt an ihr entlang, bis er einen Durchgang fand, und preschte im Galopp auf der anderen Seite zurück.
Spuren.
Aber kein Bär.
Mit dem gezogenen Schwert kam er sich etwas lächerlich vor, doch er verspürte keine Lust, es wieder wegzustecken. Die frischen Spuren mochten kaum eine Stunde alt sein, und der Tatzenabdruck der Bärin hatte die Größe eines Zinntellers aus der Küche der Komturei.
Plötzlich ertönten laut knackende Geräusche links von ihm.
Er fasste die Zügel fester und wendete sein Pferd. Es war hervorragend ausgebildet, drehte sich auf den Vorderpfoten um und hielt den Kopf auf die Bedrohung ausgerichtet.
Dann lenkte er die Stute Schritt für Schritt zurück.
Knack.
Raschel.
Er bemerkte eine blitzartige Bewegung, drehte den Kopf und sah, wie ein Häher in die Luft stieg, dann blickte er wieder nach unten …
Nichts.
»Gesegnete Jungfrau, steh mir bei«, sagte er laut. Dann hob er sich im Sattel ein wenig an und berührte mit den Sporen ganz leicht Bess’ Flanken. Sofort ging sie weiter.
Er drehte ihren Kopf und machte sich daran, den Wald zu umreiten. Er konnte nicht sehr groß sein.
Raschel.
Raschel.
Knack.
Knirsch.
Es war genau hier .
Er gab dem Pferd etwas heftiger die Sporen, und es fiel in einen Trab. Die Erde erzitterte unter dem großen Tier.
In der Nähe von Lorica · Eine Goldene Bärin
Sie wurde gejagt. Sie konnte das Pferd riechen, hörte die beschlagenen Hufe auf der Frühlingserde und spürte seinen Stolz und sein Vertrauen auf den Mörder, der es ritt.
Nach Monaten der Erniedrigung, der Sklaverei, Folter und Demütigung wäre sie gern umgekehrt und hätte gegen den stahlummantelten Kriegsmann gekämpft. Aber ihr Junges jammerte sie an. Ihr Junges – es ging nur noch um ihr Junges. Sie war eingefangen worden, weil die Kleinen nicht hatten weglaufen können, und sie hatte sie nicht zurücklassen wollen; also hatte sie um ihretwillen gelitten.
Und nun war nur noch eines übrig.
Es war das Kleinere der beiden, dasjenige, dessen Gold im Pelz heller war. Es befand sich am Rande der Erschöpfung, litt unter Austrocknung und Panik. Es hatte die Gabe der Sprache verloren und konnte nur noch jammern wie ein dummes Tier. Seine Mutter befürchtete schon, es auf immer verloren zu haben.
Aber sie musste es versuchen. Das Blut in ihren Adern schrie ihr zu, dass sie versuchen musste, ihr Junges zu retten.
Sie nahm das Kleine zwischen die Zähne, so wie eine Katze ihr Junges trägt, und rannte weiter, wobei sie die Schmerzen in ihren Tatzen kaum beachtete.
Lorica · Ser Mark Wishart
Der Ritter galoppierte um den westlichen Rand des Waldes herum und sah den Fluss, der einen weiten Bogen beschrieb. Er sah die torkelnde goldene Kreatur im Licht der untergehenden Sonne wie ein Wappentier auf einem Stadtschild glitzern. Die Bärin rannte geradeaus. Sie war so wunderschön. Wild. Und höchst gefährlich.
»O Bess«, sagte er. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er die Bärin nicht einfach ziehen lassen sollte.
Doch das entsprach nicht dem Eid, den er geleistet hatte.
Sein Reittier stellte die Ohren auf. Der Ritter hob das Schwert, Bess brach in einen Galopp aus, und er schloss das Visier vor seinem Helm.
Bess war schneller als die Bärin. Nicht viel schneller zwar, aber das große Muttertier wurde durch ihr Kleines behindert, und er sah,
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