Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
dass ihre Hintertatzen blutig und zerfetzt waren.
Er hatte sie eingeholt, als sich der Boden allmählich zum Fluss hin absenkte. Hier, in der Nähe des Meeres, war er sehr breit und roch nach Salzwasser. Der Ritter hob sich aus dem Sattel und hielt das Schwert vor sich …
Plötzlich ließ die Bärin ihr Kleines los, das in ein niedriges Gebüsch fiel, und drehte sich wie eine große Katze um. Innerhalb eines Herzschlages war sie von der Gejagten zur Jägerin geworden.
Sie stellte sich auf die Hinterbeine, als er nach ihr ausschlug – und sie war schneller als jedes Geschöpf, dem er jemals begegnet war. Sie wirbelte mit ihrem ganzen Gewicht herum und führte einen mächtigen Schlag gegen sein Pferd, während sein Schwert durch das Fleisch ihrer rechten Vordertatze in die Brust eindrang.
Bess war längst schon unter ihm gestorben.
Er setzte rückwärts über die hohe Kruppe, so wie es ihm beigebracht worden war. Hart traf er auf den Boden, rollte herum und sprang wieder auf die Beine. Er hatte sein Schwert verloren – und sah die Bärin nicht mehr. Er zog den Dolch aus seinem Gürtel und drehte sich blitzartig um. Es war trotzdem zu langsam.
Sie traf ihn. Der Schlag fuhr in seine Seite, warf ihn von den Beinen, aber sein Brustpanzer hielt stand, und so drangen die Krallen nicht in ihn ein. Durch reines Glück rollte er nun über sein Schwert und kam mit ihm in der Hand wieder auf die Beine. Etwas an seinem rechten Bein tat schrecklich weh – vermutlich war es gebrochen.
Die Bärin blutete.
Das Kleine jammerte.
Seine Mutter sah es an. Sah ihn an. Dann rannte sie los, nahm das Kleine mit dem Mund auf und preschte zum Fluss. Er sah ihr nach, bis sie verschwunden war – sie sprang in das eiskalte Wasser und schwamm rasch davon.
Mit hängenden Schultern stand er da, bis sein Atem wieder gleichmäßiger ging. Dann trat er hinüber zu seinem toten Pferd, fand die unzerbrochene Weinflasche und trank sie leer.
Er sagte ein Gebet für das Pferd, das er geliebt hatte.
Und wartete darauf, gefunden zu werden.
Westlich von Lissen Carak · Thorn
Zweihundert Meilen weiter nordwestlich saß Thorn unter einer großen Steineiche, die schon ein ganzes Jahrtausend gesehen hatte. Der Baum war sowohl groß als auch breit, und seine Nachkommenschaft füllte den Raum zwischen den Bergen im Norden und dem tiefer liegenden Cohocton, der im Süden floss.
Thorn saß mit überkreuzten Beinen auf der Erde. Er glich nicht mehr dem Mann, der er früher einmal gewesen war. Wenn er sich zu voller Größe aufrichtete, war er so gewaltig wie eine Scheune, und seine Haut wirkte dort, wo sie durch die Schichten aus Moos und Leder hindurchschimmerte, als bestünde sie aus glattem, grauem Stein. Ein Stab – geschnitzt aus einem geraden Eschenstamm, der in seinem zwanzigsten Lebensjahr von einem Blitz getroffen worden war – lag quer über seinem Schoß. Seine verkrümmten Finger, die so lang waren wie die Zinken einer Heugabel, beschrieben unheimliche Zeichen aus blassgrünem Feuer, als er sie in die Wildnis nach seinem Späherkreis ausstreckte.
Er fand den jüngsten und angriffslustigsten der Qwethnethogs – das war jenes starke Volk der tiefen Wildnis, das die Menschen Dämonen nannten. Tunxis. Jung, wütend und leicht zu beherrschen.
Er spannte seinen Willen an, und Tunxis kam. Er war vorsichtig, was die Art seiner Zitationen betraf; Tunxis hatte mächtige Verwandte, die es Thorn verübelten, wenn er den jüngeren Dämon für seine eigenen Zwecke gebrauchte.
Tunxis rannte zwischen den Eichen an der Ostseite hervor. Seine langen, muskulösen Beine wirkten im vollen Lauf wunderschön. Er beugte den Körper weit vor und hielt das Gleichgewicht mit dem schweren, gepanzerten Schwanz, der so typisch für seine Art war. Seine Brust wirkte täuschend menschenähnlich, hatte allerdings eine blaugrüne Färbung, und Arme und Schultern glichen ebenfalls denen eines Menschen. Sein Gesicht war von engelsgleicher Schönheit. Er hatte große, tiefe und leicht schräg stehende Augen, die offen und unschuldig dreinblickten und zwischen denen ein Knochengrat verlief, der zu dem anmutigen Helm anstieg, der die männlichen Wesen von den weiblichen unterschied. Sein Schnabel war auf Hochglanz poliert und mit Lapislazuli sowie mit Gold eingelegt, was seinen gesellschaftlichen Rang ausdrückte. Außerdem trug er ein Schwert, das nur wenige Menschen hätten heben können.
Er war wütend – aber Tunxis befand sich in einem Alter, in dem junge Männer
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