Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
um den Fluss überspringen zu können.
Ein Dämon.
Der Hauptmann rammte seinem Reittier die Sporen in die Flanken. Manchmal sind Pferde einfach zu handhaben. Seines preschte nun vor.
Der Adversarius sprang am Ufer hoch; sein hakenförmiger Schnabel schoss schon auf das Gesicht des Hauptmanns zu.
Das Wesen schien langsamer zu werden, als es das Wasser überquerte – die rudimentären Schwingen schwirrten undeutlich in wütender Bewegung, das behaarte Haupt hatte einen Knochenkamm, und es versprühte Spucke, als es nach dem feinen Gewebe aus Macht zu schnappen versuchte, das der Hauptmann über das Flussufer auf seiner Seite geworfen hatte. Es würde nur noch einen Augenblick halten. Schon blies der Dämon durch das milde Hindernis, so wie ein großes, wütendes und gleichzeitig verängstigtes Kind durch ein Spinnengewebe bricht.
Er zielte mit seiner Lanzenspitze auf das rechte Auge des Wesens, als wenn es das Schildwappen eines Turniergegners wäre oder der Bronzering, oder auch die linke obere Ecke des Schildes an der Stechpuppe. Das Ungeheuer wurde durchbohrt wie ein Insekt und konnte nicht mehr zurückweichen, nachdem die Speerspitze einmal in das weiche Augengewebe eingedrungen war und der harte Stahl den Knochen über und unter der Augenhöhle zum Bersten gebracht hatte. Tiefer und tiefer drang die Waffe ein; die ganze Kraft des Kämpfers und des Pferdes steckten dahinter.
Dann brach der Lanzenschaft.
Die Beine der Kreatur zuckten, und ihre Krallen gruben sich in die Vorderbeine des Pferdes, rissen Fleisch und Sehnen von den Knochen und balgten das arme Tier ab, während es entsetzlich schrie. Der Hauptmann flog bei dem Aufprall mit dem Wesen nach hinten über den Rumpf; der verrutschte Sattel gab ihm keinen Halt mehr im Rücken. Das Pferd bäumte sich auf, und die Krallen weideten es aus; seine Gedärme platschten mit einem großen Schwall auf den Boden.
Der Dämon stellte sich auf die Hinterbeine und zerfetzte mit den Armen die letzten Reste des Machtnetzes …
Das Schreckenswesen wandte sich von dem zerfleischten Pferdekadaver ab und betrachtete den Schaden, den es angerichtet hatte, mit dem ihm verbliebenen Auge, wütend orangefarben, einem Auge, in dem kein Schlitz und keine Pupille auszumachen waren. Es bestand aus nichts als Feuer. Aber es sah ihn.
Das Grauen seiner Gegenwart fuhr wie ein Geisthammer auf den Hauptmann herab. Für einen Augenblick war sein Entsetzen so gewaltig, dass er sein eigenes Selbst vergaß und nur noch aus Angst bestand.
Dann kam es auf ihn zu, stellte sich noch höher auf die hinteren Beine – und wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten werden, brach es über seinem Reitpferd zusammen.
Er keuchte auf, würgte, versuchte vergeblich, sich am Erbrechen zu hindern, und dann gab er seinen gesamten Mageninhalt von sich, der sich auf seiner Weste verteilte. Als er damit fertig war, schluchzte er, während das Grauen allmählich verebbte.
Sobald er die Beherrschung über sich zurückerlangt hatte, rief er: »Vorsicht! Da ist noch einer!«
Gelfred näherte sich ihm langsam, hielt einen Becher mit Wein in der einen Hand und balancierte mit der anderen vorsichtig seine Armbrust aus.
»Es hat lange gedauert.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe den gesamten Rosenkranz gebetet und darauf gewartet, dass Ihr Euch erholt.« Er zitterte. »Ich glaube nicht, dass der andere kommen wird.«
Der Hauptmann spuckte den Geschmack des Erbrochenen aus. »Gut«, sagte er. Er wollte noch etwas Kluges hinzufügen, doch ihm fiel nichts ein. »Gut.« Er nahm den Becher entgegen. »Wie … wie lange habe ich hier gekniet?«
»Zu lange«, sagte Gelfred. »Wir müssen weg von hier.«
Die Hände des Hauptmanns zitterten so stark, dass er ein wenig Wein vergoss.
Gelfred legte die Arme um ihn.
Der Hauptmann erhob sich in dieser ungewollten Umarmung und bebte noch immer. Dann wusch er sich im Fluss. Er fühlte sich wie vergewaltigt. Und ganz anders als vorhin. Plötzlich hatte er Angst vor allem. Er fühlte sich überhaupt nicht wie ein Mann, der einem Dämon im Zweikampf gegenübergestanden hatte, dem größten Widersacher des Menschen. Und die Verehrung in Gelfreds Augen verursachte ihm bloß Übelkeit.
Morgen werde ich zweifellos unerträglich sein, dachte er.
Gelfred schnitt dem Dämon den Kopf ab.
Der Hauptmann musste sich abermals übergeben. Ein Strahl aus Galle floss ihm aus dem Mund, und er fragte sich, ob er je wieder ein Geschöpf der Wildnis würde ansehen können. Seine
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